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Doping für EU-Gesetze: Zu Risiken und Nebenwirkungen des Trilogs

Ein paar Tage, bevor EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly zu einer Diskussion über Triloge und transparente Gesetzgebung einlädt, kommentiert EBD-Präsident Dr. Rainer Wend ihren im Mai mit einer offiziellen Untersuchung eingeleiteten Gesundheitscheck des EU-Immunsystems. Seine Warnung vor dem Dopingmittel informeller Triloge fällt recht drastisch aus: Wenn über 90 Prozent der EU-Gesetze in den Hinterzimmern des Trilogs verabschiedet würden, warnt Wend, „verkommt die EU zu einer zwar effizienten, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufenden Gesetzgebungsmaschine, die nur populistischen Angstmachern in die Hände spielt. Wir brauchen aber mehr parlamentarische Demokratie und transparenten Wettstreit. Gerade wegen der aktuellen Krisen.“

Der Europapolitische Einwurf im Wortlaut: (English version here)

Immer größere Herausforderungen lasten auf Europa. Wir alle sehen die multiplen äußeren Krisen. Wir müssen sie prioritär bekämpfen. Gleichzeitig schwächelt das Immunsystem EU. Deshalb dürfen wir die innere Verfasstheit Europas nicht aus den Augen verlieren.

Eines muss man der EU-Kommission lassen: Sie lässt keine Gelegenheit aus, der Öffentlichkeit zu versichern, dass man es bei der EU-Gesetzgebung zukünftig richtig machen werde. So auch im Juni in Berlin: Für den Ersten Vize-Präsidenten Frans Timmermans stand beim EBD-Dialog fest: Transparenz, Verständlichkeit und ein offener Zugang sind gerade in Zeiten der Krise und Skepsis nötig.

Dass Timmermans den Begriff „Bessere Rechtsetzung“ in den Vordergrund stellt, kommt nicht von ungefähr. Es hat seinen Ursprung in krisenfreien Zeiten: Ein agressiv brüsselkritisches London und ein verlorenes Europareferendum im eigenen Land haben den Niederländer Timmermans zum idealen Aufräumer in der „Eurokratie“ werden lassen. Er macht es smart. Aber jede neue politische Kultur birgt auch Gefahren. Denn unsinnige Gesetze denken sich eben nicht nur Brüsseler Beamte aus. Auch Politiker und Interessengruppen jeglicher Couleur und – hört, hört! – auch nationale Regierungen haben sie auf den Weg gebracht. Gerade die Mitgliedstaaten sollten nun ihren Teil beitragen. Wer Edmund Stoiber in den letzten Jahren genau zugehört hat, der weiß, dass der Abbau von unsinniger EU-Bürokratie gerade national verhindert wird.

Dennoch wirkt in Krisenzeiten die „Bessere Rechtsetzung“ merkwürdig bürokratisch-steril. Irgendwie passt die technokratische Rhetorik um  „Governance“ nicht zu „mehr EU-Demokratie“. Experten-Gremien sind gut, aber parlamentarische Repräsentativität ist besser.

Leider ist ausgerechnet das Europäische Parlament seit einigen Jahren ebenfalls auf der Straße der technokratischen Governance unterwegs. Ohne Not hat es den sogenannten „Trilog“ zur Norm der Gesetzgebung gemacht. Gleichzeitig handelt es grob fahrlässig, wenn es auf aufwendigen Informationsseiten den Eindruck vermittelt, dass auf EU-Ebene das in Schule und Uni gelernte Gesetzgebungsverfahren vorherrsche. Es behauptet gar, Triloge würden nur bei besonders wichtigen, eilbedürftigen Fragen eingesetzt. Können 90 Prozent der Gesetze eilbedürftig sein? Zumal es im Trilogverfahren häufig gar nicht schneller geht.

Timmermans hat, anders als noch in einem Interview im Januar, auf meine Frage im Juni dem Parlament die Verantwortung zugeschoben. So einfach darf er es sich nicht machen.

Denn das Europäische Parlament steckt in einem Dilemma. Auf der einen Seite hat es einen wichtigen demokratischen Auftrag, die parlamentarische Mitentscheidung bei den meisten EU-Gesetzen, zu erfüllen. Auf der anderen Seite kann es, im Unterschied zu Kommission und Rat, die zusätzlich gespeist aus nationaler „Ministerialexpertise“ agieren, auf nur wenige administrative und wissenschaftliche Ressourcen zurückgreifen. Neben so mancher Eitelkeit (oft nur kurzfristig) mächtiger Parlamentarier ist dies der eigentliche Grund, dass das Parlament sich auf den Trilog-Deal mit Minister-Rat und Kommission einlässt.

Die Ombudsfrau Emily O’Reilly hat das einzig Richtige gemacht und ganz im Sinne schon älterer EBD-Forderungen einen EU-Gesundheitscheck in Sachen Triloge eröffnet. In ihren Briefen an die Präsidenten der am Trilog beteiligten Institutionen brachte sie jüngst gar einen möglichen Verstoß gegen den EU-Vertrag in die Diskussion.

Die EBD will eine starke parlamentarische Demokratie in der EU, denn nur sie schafft im Wettstreit eine bessere Kondition Europas. Aber die Einnahme des Dopingmittels „Trilog“ ist nicht ungefährlich. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Volksvertreter … Die gegenwärtige Häufung von „Dopingfällen“ kann das größte proeuropäische Netzwerk in Deutschland nicht kalt lassen. Nach dem Gesundheitsscheck der Ombudsfrau muss eine Therapie her. Sonst verkommt die EU zu einer zwar effizienten, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufenden Gesetzgebungsmaschine, die nur populistischen Angstmachern in die Hände spielt. Wir brauchen aber mehr parlamentarische Demokratie und transparenten Wettstreit. Gerade wegen der aktuellen Krisen.


Illustration: Christina Bretschneider. Fachliche Beratung: EBD-Fellow Claudia Zentgraf

Illustration: Christina Bretschneider. Fachliche Beratung: EBD-Fellow Claudia Zentgraf

O-Töne und Stellungnahmen zum Thema von unseren Mitgliederorganisationen finden Sie im EBD Telegramm Bessere Rechtsetzung und Trilog

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