Aktuelles > EBD Netzwerk-Tag 2015 | Europa neu denken

Artikel Details:

Institutionen & Zukunftsdebatte

EBD Netzwerk-Tag 2015 | Europa neu denken

Hat Griechenland die letzte Chance verspielt? Drohen erst Staatspleite und dann Grexit? Wie würde der überhaupt funktionieren? Die rasanten Entwicklungen des Wochenendes in der Griechenland-Krise schlugen auch am Montag Wellen beim EBD Netzwerk-Tag 2015. „Vielleicht ist es ein Fingerzeig, dass die EBD ihre Mitgliederversammlung heute ausgerechnet in einer Hochschule abhält, die sich mit besserem Regieren befasst“, kommentierte Prof. Henrik Enderlein, Vizedekan der gastgebenden Hertie School of Governance in seiner Begrüßung.

Traditionell stand am Anfang des Netzwerk-Tags ein EBD De-Briefing zum Europäischen Rat, bei dem Martin Kotthaus (Auswärtiges Amt) und Claudia Dörr-Voß (Bundesministerium für Wirtschaft) berichteten, was in Brüssel auf der Agenda war. Überraschend für viele im Saal war die Bemerkung: „Griechenland war kein Thema.“ Den ausführlichen Bericht über das De-Briefing finden Sie hier.

Ausführlicher um Griechenland ging es dann in einem als „Streitgespräch zur wirtschaftlichen und sozialen Zukunft Europas“ titulierten Meinungsaustausch zwischen Jörg Asmussen, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, und Elmar Brok MdEP, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments und Präsident der Union Europäischer Föderalisten. Die Moderation übernahm EBD-Präsident Dr. Rainer Wend.

EBD Mitgliederversammlung in der Hertie Schoool of Governance Jšrg Asmussen, StaatssekretŠr im Bundesministerium fŸr Arbeit und Soziales (re.) )

Jörg Asmussen

Am Freitag noch habe von EU-Seite ein sehr weit gehender Vorschlag vorgelegen, berichtete Asmussen: „Kein reines Sparprogramm, das Paket hatte eine klare Investitionskomponente. Das laufende Hilfsprogramm wäre bis November verlängert worden.“ Sogar ein drittes Hilfsprogramm sei erstmals in Aussicht gestellt worden, man sei sogar bereit gewesen, über Schuldenregelungen nachzudenken. „Die griechische Regierung hat sich anders entschieden“, bedauerte der Staatssekretär. Elmar Brok zeigte sich äußerst besorgt über die Lage in Griechenland. Seit Dezember habe der Staat keine Rechnungen mehr bezahlt, beispielsweise im Baubereich. „Das hält eine Wirtschaft auch nur begrenzt durch.“ Die EU habe schon vor langer Zeit Geld bereitgestellt für den Aufbau von Katasterämtern und für Behörden, die Gründer-Genehmigungen schneller bearbeiten könnten. „Nichts ist passiert.“


Elmar Brok bemängelte auch das Ungleichgewicht in den Prioritäten Europas: „In den Verträgen stehen Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit. Gleichberechtigt!“, betonte er. „Haben wir nicht nach dem Sieg über den Kommunismus zu stark auf Wettbewerbsfähigkeit geschaut? Beides macht soziale Marktwirtschaft aus!“

Jörg Asmussen erinnerte daran, dass es das Kürzel ESM auf europäischer Ebene vor 25 Jahren schon einmal gab. Damals stand es nicht für den Europäischen Stabilitätsmechanismus, der immerhin erreicht habe, dass die Eurozone längst nicht mehr so labil auf einen Grexit reagieren würde wie noch vor fünf Jahren: „Damals unter Kommissionspräsident Delors stand ESM für Europäisches Sozialmodell, für die parallele Entwicklung einer europäischen Sozialunion.“ Dass es die noch immer nicht gebe, sei einer der Gründe für die schwindende Akzeptanz des Projekts Europa.

Ob es eine allerletzte Chance auf Einigung mit Griechenland geben kann, bezweifelte CDU-Mann Brok eher. „Die griechische Regierung wollte keinen Abschluss, das sind Kommunisten, die zum Teil noch den Bürgerkrieg von 1949 gewinnen wollen – ich kenne die noch aus dem Europäischen Parlament.“

Brok kl

Elmar Brok

In die Zukunft sehen konnte natürlich keiner der Diskutanten, die sich zahlreichen Fragen aus dem Plenum stellten. „Die Griechen werden sich diese Woche bewusst werden, dass sie jetzt eine Grundsatzentscheidung treffen über Europa“, sagte Brok. Staatssekretär Asmussen ergänzte: „Wir müssen jetzt erst mal das Ergebnis des Referendums abwarten, dann sehen wir, wie wir nächsten Montag weitermachen.“ Stimmten die Griechen im Referendum mit „Ja“ für die EU-Vorschläge, könne es umgehend neue Gespräche geben.

Alles ist im Fluss in dieser Woche, zu diesem Ergebnis kam auch der nächste Redner – und hatte kurzerhand auf dem Flug nach Berlin die Notizen für sein geplantes Grußwort an die EBD-Mitglieder zerrissen. „Die Dinge ändern sich, während wir hier reden“, begann Petros Fassoulas, der am 1. Juli sein neues Amt als Generalsekretär des European Movement International antritt, seine Rede.  Als geborener Grieche ging der Wahlbrite und vormalige Präsident der britischen Europäischen Bewegung vor allem auf die Krise in Griechenland und das anstehende Referendum in Großbritannien ein. Misstrauen ist laut Fassoulas in beiden Ländern eines der größten Probleme. Misstrauen gegenüber den Absichten der Europäischen Union und dem Unwissen, was die europäischen Politiker denn eigentlich wollen.

EBD Mitgliederversammlung

Petros Fassoulas

Fassoulas wies außerdem darauf hin, dass dieses Prinzip „Ich gebe nur, wenn ich etwas bekomme“ von den Gründervätern der Europäischen Union anders gedacht war. Für den designierten EMI-Generalsekretär müssen Solidarität, Kooperation, gemeinsamen Ziele und vor allem die europäische Bevölkerung wieder mehr ins Zentrum des Handelns gerückt werden. Die Bevölkerung beginne, das Projekt Europa abzuschreiben und daher müsse Europa einschreiten und diese Menschen wieder mehr mit einbeziehen.

EBD-Präsident Dr. Rainer Wend sieht der Zusammenarbeit mit Fassoulas mit Freude entgegen, sagte er in seinem Politischen Bericht: „Er kann mit seinem europäisch-britisch-griechischen Geist helfen, ‚out of the box‘ zu denken. Europa neu denken, Europa neu vertrauen – das ist es, was wir jetzt brauchen“, appellierte Wend.

Auch Wend ergänzte sein Manuskript aus aktuellem Anlass. In Zeiten wie diesen einen politischen Bericht abzuliefern falle ihm schwer. „Wofür steht eigentlich Europa? Seit den 50er-Jahren war doch Europa immer eine Antwort auf die Kriege und Verwüstungen der Jahrhunderte zuvor. Ich glaube,  die EU war auch eine Antwort.“ Es sei nicht so gewesen, dass nur Frieden herrschte, sagte Wend mit Blick auf den Balkankrieg und die Kämpfe in der Ukraine. „Aber verglichen mit den Jahrhunderten zuvor erleben wir eine friedliche Zeit! Das hat auch mit der EU zu tun. Bei allen Fehlern: Den Auftrag für Frieden zu sorgen hat sie sehr weitgehend erfüllt.“

Foto: EBD/Katrin Neuhauser

Doch die EU müsse auch eine Werteunion sein. Sie könne zwar ihre Rechtfertigung auch aus ökonomischen Fragen gewinnen. Die entscheidende Frage sei jedoch: „Schaffen wir das in Europa, eine Wertegemeinschaft zu leben, in der Freiheit und Menschenwürde im Vordergrund stehen?“ Europa müsse eine Wertedebatte führen, forderte Wend. „Freiheit heißt nicht nur, sich frei bewegen zu können, frei seine Meinung sagen zu dürfen. Freiheit ist immer auch Freiheit von sozialer Not.“

Das Streiten für diese Werte Europas hat sich die Europäische Bewegung seit jeher auf die Fahne geschrieben. Trotz oder wohl eher wegen der anhaltenden Krise sei die EBD stärker denn je, konnte Wend auch positive Nachrichten überbringen. Nie war das Netzwerk EBD größer – mit den auf der Mitgliederversammlung neu aufgenommenen Organisationen sind 247 Institutionen und Verbände Teil der Europäischen Bewegung Deutschland. „Wir wollen weiter den Kitt bilden zwischen den gesellschaftlichen, politischen und staatlichen Kräften und den Zusammenhalt stärken, wenn wir für ein besseres Europa streiten!“

Michael Roth, Staatsminister Europa im Auswärtigen Amt, hatte auf der EBD Mitgliederversammlung eigentlich über „Europa als emanzipatorische Kraft“ sprechen wollen, doch die sich überschlagenden Ereignisse in der Griechenland-Krise ließen ihn nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Dass er wie versprochen „an einem Tag wie diesem“ überhaupt gekommen war, interpretierte EBD-Präsident Wend als Zeichen der Wertschätzung für die EBD. Roth entgegnete, er sei gerade jetzt dankbar für die Gelegenheit, „unter Gleichgesinnten die Batterien wieder aufladen zu können.“  Unumwunden sprach er davon, wie enttäuscht er sei, „darüber, dass Europa an einem Punkt angekommen ist, für den es keine Blaupause gibt.“

Seine etwa halbstündige Ansprache an die rund 160 Delegierten war geprägt von den aktuellen Herausforderungen durch den drohenden „Grexit“ und die Sorge darum, wie es nun überhaupt weitergeht in Europa. Er sei bei aller Enttäuschung nicht hoffnungslos, betonte Roth. „Wir werden das hinkriegen und ich hoffe, wir ziehen einen kathartischen Moment aus dieser Zeit der Zuspitzung, die wir jetzt erleben.“ Auch die aktuelle Flüchtlingssituation, rechtspopulistische Kräfte in nationalen Parlamenten und die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Mitgliedstaaten trügen dazu bei, dass „die europäische Werte- und Solidargemeinschaft auf die Probe“ gestellt werde.

Umso eindringlicher Roths Appell an die EBD-Mitglieder, dass pro-europäische Haltungen in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft dieser Tage notwendiger denn je seien. Die Lage in der Ukraine „Für mich gibt es immer nur eine Antwort: Es geht nicht mit weniger Europa. Es geht nur mit mehr Zusammenarbeit, mehr Vertrauen. Wir haben nichts besseres als Europa!“ Und genau dafür stehe schließlich die Europäische Bewegung.

Am Ende eines durchaus emotionalen Vormittags ging es dann an die Verbandsarbeit:

EBD MitgliederversammlungEBD Schatzmeister Peter Hahn und Rechnungsprüfer Manfred Eisenbach zogen finanziell, Generalsekretär Bernd Hüttemann und EBD-Präsident Dr. Rainer Wend die politische Bilanz des EBD-Jahres. Wegen beruflicher Veränderungen schieden Daniel Sahl und Mario Bach aus dem EBD-Vorstand aus, für sie wurden Klaus Deutsch (BDI, für den Bereich Wirtschaft), Katrin Böttger (IEP, für den Bereich primär Zielsetzung europäische Integration) nachgewählt. Für die Freien Wähler, denen dank ihrer Wahl ins Europäische Parlament nun ebenfalls ein Sitz im EBD-Vorstand zusteht, wurde Karl Ilgenfritz gewählt.

Auch inhaltlich stellten die rund 160 Delegierten die Weichen für die EBD-Arbeit des kommenden Jahres. Sie verabschiedeten nach kurzer Diskussion die Politischen Forderungen 2015/16 und die Arbeitsschwerpunkte 2015/16.

Zwei neue Mitglieder wurden einstimmig in die EBD aufgenommen: Das Jacques-Delors-Institut Berlin und die WMP EuroCom AG. Damit umfasst das Netzwerk nun 247 Mitgliedsorganisationen.

Ein Fotoalbum zum EBD Netzwerk-Tag 2015 finden Sie auf unserer Facebook-Seite
Fotos: EBD/Katrin Neuhauser

 

 

PDF zum Download