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Bildung, Jugend, Kultur & Sport, Europäische Wertegemeinschaft

#EPHearings2014: Vertrauen ist gut, Grillen ist besser!

Europapolitischer Einwurf von EBD-Präsident Dr. Rainer Wend

Europas Demokratie ist noch nicht perfekt. Aber in einem Punkt hat das Europäische Parlament den meisten nationalen Parlamenten etwas voraus: Es darf einzelne Kandidatinnen und Kandidaten grillen! So drastisch drückt es der EU-Jargon aus, wenn es darum geht, das künftige Kollegium der EU-Kommission durch das Europäische Parlament zu bestellen oder auch nicht.

Alles wartet nun darauf, dass „schlimme Vorschläge“ verhindert werden. Einer der umstrittendsten Kandidaten ist Tibor Navracsics. Er wurde von der ungarischen autoritären Fidesz-Partei vorgeschlagen und nun von Jean-Claude Juncker ausgerechnet für den Bereich „Bildung, Kultur, Jugend und Bürgerschaft“ vorgesehen. Wird er den 1. Oktober überstehen?

Schon lange ist das europaparlamentarische Grillen Praxis. Man erinnere sich noch an den offen homophoben italienischen Kandidaten Rocco Butiglione, der 2004 bei den Parlamentariern glatt durchgefallen ist. Das EP als Ganzes hatte es damals nötig, Kante zu zeigen – nicht nur inhaltlich, sondern institutionell gegen die Mitgliedstaaten! In dieser Radikalität wird es sich aber wohl nicht wiederholen. Denn this time it’s different: Das Parlament hat stark an Macht gewonnen. Es ist Träger der neuen europäischen Regierung.

Deshalb hat der designierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sein Team in einer Großen Koalition aus Volkspartei, Sozialdemokraten und Liberalen gebildet, ein Team aus einem Guss! Und wie in jeder nationalen Regierung auch mussten in einem schwierigen Verfahren mehrere Proporze gewahrt werden. Juncker hat sich dabei alle Mühe gegeben. Er hat in langwierigen Interviews nicht nur alle nationalen Kandidaten untergebracht, er hat auch ein Minimum an Gender-Balance und Bündelungen von einzelnen Kommissaren unter einem Vizekommissar erreicht. Vieles ist Experiment, aber eines, das sich lohnt!

Man muss einiges gegen die erklärte illiberale Demokratie Viktor Orbáns sagen. Das 24. Deutsch-Ungarischen Forum in Budapest machte jüngst deutlich, dass wir neue Dialogforen und klarere Worte finden müssen, um den europäischen Pluralismus positiv zu stärken. Nicht wenige betrachten Nominierung Navracsics‘ als einen Skandal, so EBD-Mitgliedsorganisationen wie der Deutsche Kulturrat oder der Deutsche Bundesjugendring, aber auch die von der Europäischen Bewegung International initiierte Allianz Europe+. Kritik ist in einer Demokratie absolut nötig. Ich wünsche mir, dass das Grillen gerade bei dem designierten Kommissar für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgerschaft dem Kandidaten alles, aber auch alles abverlangt.

Es gibt viele, die meinen, dass von Juncker einige „Böcke zum Gärtner“ gemacht wurden. Man denke nur an öffentliche Stimmen gegen Pierre Moscovici oder Jonathan Hill. Doch die „Besetzung gegen den Strich“ kann in der Politik sehr sinnvoll sein, um kontroverse Kandidaten besser einbinden und kontrollieren zu können. Denn noch spannender ist der neue innere „EU-Premierminister“. Von Juncker erster Vizepräsident genannt, wird Frans Timmermans die eigentliche Kontrollarbeit leisten. Juncker wird den harten Job dem Sozialdemokraten überlassen. Dazu gehört die Disziplinierung der Kolleginnen und Kollegen.

Aber ein Skandal ist im Zusammenhang mit der Nominierung Navracsics‘ schon zu nennen: Es ist offensichtlich, dass man Navracsics auf einen unwichtigen Kommissarsposten verweisen wollte. Dass der Bereich Bildung, Jugend, Kultur und Bürgerschaft dazu gehört, liegt nicht so sehr am neuen Kommissionsteam, sondern an den Verträgen. Bildung, Jugend, Kultur und Bürgerschaft ist in der EU in der Substanz unterbelichtet. Das wird sich durch keinen Kommissar mittelfristig ändern – da müssen die Mitgliedstaaten selbst ran! Auch aus diesem Grund fordert Europe+ einen Konvent!