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EU-Erweiterung, Außen- & Sicherheitspolitik, Partizipation & Zivilgesellschaft

Gahler: „Raum für diplomatische Aktivitäten in der Ukraine eröffnen“

Russland an den Verhandlungstisch bringen, Staatsbankrott abwenden, politischem Willen der Bürger in der Ukraine gerecht werden. EBD-Vizepräsident Michael Gahler MdEP ruft den aktuell tagenden Sonder-Rat der 28 EU-Staats und Regierungschefs zu substanziellen Entscheidungen auf. Er fordert ein schnelles Datum für die Freihandels- und Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU.

Gahlers „Europapolitischer Einwurf“ im Volltext:

Russland fordert auch Europa heraus – Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist jetzt das Gebot der Stunde

Die Europäische Union und die demokratische Welt sind sich einig: Russlands Vorgehen auf der ukrainischen Halbinsel Krim ist völkerrechtswidrig. Dort, wo Staaten in Europa nicht zur EU gehören oder im Rahmen der NATO sicher sind, sind Drohung mit Krieg und Besetzung eines Nachbarn offensichtlich noch ein Mittel der Politik. Wenn einer ein Land regiert, in dem er allein das Sagen hat, wo es keine „checks and balances“ gibt, weder durch ein Parlament noch eine unabhängige Justiz, keine freie Medien, lebendige Parteienlandschaft oder Zivilgesellschaft, kann die Bedrohung eines Nachbarn durch jeden Vorwand gerechtfertigt werden. Das muss uns herausfordern und zu gemeinsamen Antworten führen.

Die Initiative der Außenminister des Weimarer Dreiecks im Auftrag der EU war richtig: Es galt, die Gewalt, begangen und provoziert durch das Regime Janukowitsch zu beenden, aber ihm selbst einen Ausweg zu eröffnen, indem parlamentarische Opposition und der Maidan-Rat einem Fahrplan zu einer neuen Verfassung und zu Neuwahlen zustimmten. Die Menschen auf dem Maidan konnten dadurch allerdings nicht verpflichtet werden, und Janukowitsch war der erste, der die Vereinbarung nicht erfüllte – er muss fast unmittelbar nach Unterzeichnung „zum Packen“ in seinen Landsitz gefahren sein. Teil der Vereinbarung war, dass innerhalb 48 Stunden die Verfassung von 2004 wieder in Kraft gesetzt wurde, dies geschah dann sogar unmittelbar. Die Verfassung sieht übrigens vor, dass eine ausländische Macht nur vom Parlament eingeladen werden kann, dem Land mit Truppen zu Hilfe zu kommen. Der angebliche Brief Janukowitschs an Putin, der von Russland einen Militäreinsatz in der Ukraine fordert, wäre somit durch die ukrainische Verfassung nicht gedeckt.

Putins Kalkül ist in mehrfacher Hinsicht nicht aufgegangen. Weder hat sich die ukrainische Regierung zu militärischen Maßnahmen provozieren lassen, noch sind massenweise Soldaten übergelaufen – im Gegenteil.

All das eröffnet jetzt den Raum für diplomatische Aktivitäten: Russland konnte sich einer unbewaffneten OSZE-Polizei-Beobachtermission auf der Krim nicht widersetzen. EU und USA senden gleichlautende Botschaften, und der außerordentliche Europäische Rat am 6. März, wird, so ist zu hoffen, substanzielle Entscheidungen treffen. Einiges dringt schon durch: Gegen 18 Vertreter des alten Regimes aus der Ukraine sind bereits Maßnahmen in Form von Kontosperren ergangen. Wir sollten den Ehrgeiz haben, möglichst viele der unterschlagenen Milliarden der ukrainischen Staatskasse zuzuführen und gleichzeitig Expertise anbieten, die Steuerverwaltung effektiv und rechtsstaatlich zu organisieren.

Die EU wird bis 2016 zunächst 11 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um beizutragen, den Staatsbankrott zu verhindern. Wir sollten am Donnerstag ein frühes Datum zur Unterzeichnung des DCFTA und Assoziierungsabkommens vereinbaren, auch wenn wir wissen, dass die Implementierung eine enorme Herausforderung für alle Beteiligten ist. Sie bietet aber eine konkrete Tagesordnung, die es abzuarbeiten gilt.

Für eine Win-Win-Situation in der Region

Gegenüber Russland muss die Haltung deutlich bleiben: geordneter Rückzug von der Krim bis auf den Rahmen, der durch das Stationierungsabkommen gedeckt ist, Unterlassen weiterer Provokationen im Osten des Landes, Verpflichtung zur konstruktiven Zusammenarbeit im Rahmen der OSZE-Mission. Beide, Russland und die Ukraine, müssen zu einem fortgesetzten politischen Dialog ermuntert werden, der alle bilateralen Fragen auf die Tagesordnung bringt. Und wenn wir über russische Interessen sprechen, dann sind die insofern zu berücksichtigen, als sie legitim sind. Und legitim ist (nur) das, was durch bestehendes Völkerrecht, multilaterale und bilaterale Verträge und gemeinsame Mitgliedschaften in internationalen Organisationen gedeckt ist. Wir müssen dafür werben, dass es für alle um eine Win-Win-Situation in der Region geht, mit dem Fokus auf das Wohl und den politischen Willen der Bürger der Ukraine, deren stabile Entwicklung zum allseitigen Vorteil ist.