Pressemitteilung
EBD Häppchen | Vor Bratislava: Sherpakratie für die Zukunft Europas
1 | Fangfrage: Was haben Uwe Corsepius, Sardar Tenzing Norgay und Martin Selmayr gemeinsam? Sie alle waren oder sind Sherpas. Für Angela Merkel, für den Mount Everest-Erstbesteiger Edmund Hillary und für Jean-Claude Juncker. Die „echten“ Sherpas vereint, dass sie mit ihren Chefs treu und unentbehrlich auf Gipfel steigen … pardon: gehen. Wikipedia kennt den Sherpa in der Europapolitik nicht. Auf den Seiten des Rates der EU werden sie immerhin erwähnt. Auch das haben die politischen Lastenträger mit ihren alpinen Vorbildern gemeinsam: sie sind meistens unsichtbar. In die Geschichtsbücher gehen die anderen ein.
2 | Gipfelbesteigungen führen oft an die Grenzen der menschlichen Leistung, bieten eine besondere Ich-Erfahrung. Auf die EU bezogen kein schlechtes Bild. Auch Bratislava (134m ü.NN) wird die Frage nach der Zukunft Europas stellen. Eine ähnliche Ich-Erfahrung erlebte Europa 2001 auf dem Gipfel von Laeken (34m ü.NN). Dessen Schlusserklärung stellte 60 Fragen, die der Verfassungskonvent beantworten sollte. „Der Verfassungsvertrag ist gescheitert“, werden Sie jetzt sagen. Pustekuchen! Übereinstimmend sprechen Europarechtler davon, dass weit über 90 Prozent des Verfassungsvertrages heute im Lissabon-Vertrag Europarecht und Gesetz sind. Zwar sind Fahne und Hymne weg, und Gesetze werden wieder als Verordnung getarnt, aber die Gemeinschaft wurde als demokratisches Konstrukt gestärkt. Nur scheint kaum einer der Sherpas diese Demokratie leben zu wollen.
3 | Es war kein Büroversehen: Weit vor den Krisen hat das Bundeskanzleramt die „Unionsmethode“ ausgerechnet am College of Europe in Brügge (2 m ü.NN) aus dem Hut gezaubert, zunächst wohl als Ergänzung zur „Gemeinschaftsmethode“ (der Politologe weiß, was das bedeutet: starkes Parlament, Mehrheitsentscheidungen im Rat, politische Kommission). Aber die Wahrheit ist auf dem Platz. Seit der Lissabon-Vertrag 2009 in Kraft trat, konzentriert sich europapolitische Macht bei den Sherpas und ihren Kleinteams. In Berlin wird man kaum noch einen Botschafter finden, der noch einen engen Draht zur Europapolitik an der Heimatfront hat. Und Deutschland? Das hat die Koordinierung der Europapolitik seit 2005 nicht verändert. Die deutschen Sherpas befinden sich zunehmend in der Falle: enormer Machtzuwachs bei Explosion externer Herausforderungen. Die Folge: Die kleine Seilschaft verliert den Kontakt zum Basis-Camp. Erschwerend kommt hinzu, dass europaweit der jeweiligen Hauptstadtpresse der Zugang zur zuständigen Staatskanzlei bewusst klein gehalten wird.
4 | Von Ventotene nach Bratisblabla: Soll Bratislava nicht wieder den Kontakt zur Basis, zu den Bürgerinnen und Bürgern herstellen? Die Kurz-Expedition nach Ventotene (18 m ü.NN) hat die Richtung angedeutet. Warum sollten die anderen Sherpa-Teams ihr Heil in den Gemeinschaftsorganen suchen? Von eigenen Hausaufgaben, etwa der Demokratisierung der Nationalstaaten, werden die wenigsten sprechen. Das kritisiert auch EBD-Präsident Dr. Rainer Wend in seinem Europapolitischen Einwurf. Irgendein Brüssel soll sicher mehr leisten müssen, den „Bürger abholen“ und „der Jugend“ vielversprechende Programme anbieten. Aus den betroffenen Verbänden hört man, die Mitgliedstaaten sollten lieber zuhause ihre Verantwortung wahrnehmen und Strukturreformen nationaler Arbeitsmärkte wagen, anstatt wieder nach Brüssel und einer Verlängerung der noch gar nicht vollständig umgesetzten Jugendgarantie zu rufen. Das schaffe nachhaltig Wohlstand auch für junge Menschen.
5 | Und die Sicherheitspolitik? Sherpas aus den Staatskanzleien werden garantiert nicht die Idee einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee fördern. Wer sowas fordert? Der aktuelle Koalitionsvertrag der Großen Koalition in Berlin … aber den muss ein Sherpa ja nicht umsetzen.
Europapolitischer Einwurf von EBD-Präsident Dr. Rainer Wend zu den Gefahren der Sherpakratie: Vor Bratislava ist nach Laeken
Politische Forderungen der EBD 2016/17
Ihr Ansprechpartner für die EBD-Politik: Bernd Hüttemann
Pressekontakt: Karoline Münz | presse [at] netzwerk-ebd.de