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  • 08.05.2017 - 13:49 GMT

EBD-Präsident Wend zur Präsidentschaftswahl: Kein Dammbruch für Frankreichs Demokratie – aber Polder sind nötig!

Frankreich, Wahl, Demokratie, Europapolitik

Berlin, 8. Mai 2017 – Der Wahlausgang in Frankreich markiert den neuen Höhepunkt eines europaweiten Trends: Mit Abschottung und Nationalismus sind keine nationalen Wahlen zu gewinnen, das gilt für Frankreich genauso wie zuvor für Österreich oder die Niederlande, schreibt EBD-Präsident Dr. Rainer Wend in seinem aktuellen Europapolitischen Einwurf. Noch nie war ein französischer Präsident bei Wahlantritt so europäisch wie Emmanuel Macron. Als Präsident werde er den Wählerwillen allerdings nicht lang genießen können, wenn er keine Unterstützung aus der Gesellschaft und von den europäischen Partnern erhält: „Als Europäische Bewegung wissen wir, dass Europas Demokratie nur funktionieren kann, wenn sie von vielen Schultern getragen wird.“

Um das europäische Hinterland vor der Überschwemmung durch Nationalismus zu schützen, brauche es mehr als nur einen „grand plan“ für einen neuen Deich, schreibt Wend: „Europa braucht ein intelligentes, konsensorientiertes ‚Poldersystem‘ nach alter niederländischer Art, mit vielfältigen demokratischen Strukturen, die Strömungen abfangen und ableiten können, bevor sich eine Sturmflut zusammenbraut. Die gesellschaftlichen Kräfte müssen in alle Richtungen grenzüberschreitend an den Sachfragen arbeiten: Stärkung der Eurozone, Verbesserung der Flüchtlingssituation, Kampf gegen Terror, Sicherung der EU-Außengrenzen, soziale Mitbestimmung, mehr Demokratie sind die Themen, bei denen ein französischer Präsident Impulse setzen kann und muss.“

Wends „Europapolitischer Einwurf“ im Volltext:

Wir sind noch einmal davon gekommen! Kein Dammbruch für Frankreichs Demokratie und eine Chance für das offene Europa

Erleichterung ist das richtige Wort zum Ausgang der Präsidentschaftswahl: Frankreichs demokratische Dämme sind nicht gebrochen. Sie halten! Nachdem sich viele alte Deichgrafen aus der Verantwortung gestohlen hatten oder von den Anrainern schlicht ins Hinterland geschickt worden waren,  hat ein junger engagierter Mann in einer Rettungsaktion alle liberalen Kräfte mobilisiert, um Frankreichs demokratisches Vermächtnis zu retten.

Noch nie war ein französischer Präsident bei Wahlantritt so europäisch wie Emmanuel Macron. Wer zu Klängen der „Ode an die Freude“ und blauen Europafahnen einen französischen Präsidentschaftssieg feiert, ist wahrlich revolutionär.

Was uns Europäer freuen muss: Der Wahlausgang in Frankreich markiert den neuen Höhepunkt eines europaweiten Trends. Als erstes haben die Wählerinnen und Wähler in Österreich den rechtsextremen Hofer aufgehalten, dann wurde Wilders in den Niederlanden auf seine wahre Bedeutung zurechtgestutzt, und für Deutschland ist schon jetzt vorauszusehen, dass jede neue Bundesregierung klar für Europa eintreten wird. Und es gibt in vielen Ländern proeuropäische Regierungen, die in der Medienberichterstattung von nationalem Getöse und autoritärem Getue à la Orbán übertönt werden. Kroatien, Slowenien, Spanien, Irland oder Portugal erscheinen leider in kaum einer Schlagzeile.

Das, was sich die verantwortungslosen Brexiteers und ihre nationalistische Hetzpresse gewünscht haben, ist also nicht eingetreten. Die Europäische Union der 27 bleibt politisch grundsätzlich geeint. Und was noch bedeutsamer ist: Die Europafahne ist – auch angesichts neuer  proeuropäischer Kräfte wie „Pulse of Europe“ oder „The European Moment“ auf den Straßen – wieder zu einer Fahne der pluralistischen Demokratie geworden: in Budapest, Bukarest, London, Warschau und nun eben auch in Paris. Von der Einigungsfahne über die „Fahne der Eurokraten“ zur Fahne gegen nationale Autokratie und Korruption – was für ein Comeback!

Doch Vorsicht: In Frankreich konnte ein Dammbruch nur knapp verhindert werden. Und in vielen jungen Demokratien der Visegrád-Länder ist die demokratische Opposition noch immer zu schwach. Als Europäische Bewegung wissen wir, dass Europas Demokratie nur funktionieren kann, wenn sie von vielen Schultern getragen wird. Konsensfindung, Parlamentarismus, Sozialpartnerschaft, Verbändedemokratie sind langweilig, aber liefern letztlich die für die Bürgerinnen und Bürger eines Landes besten Ergebnisse.

Macrons Wahl ist ein großer Impuls für ein starkes Frankreich im Herzen Europas. Die Gefahr für eine deutsche Bundesregierung, ungewollt oder gewollt allein die Führungsrolle in Europa zu übernehmen, ist gebannt. Die Gefahr, dass eine neue deutsch-französische Arroganz gegenüber „dem anderen Europa“ entsteht, ist dagegen noch nicht auszuschließen.

Es gibt viele Anzeichen dafür, dass Macron ein parlamentarisches, pluralistisches Frankreich und Europa will. Als Präsident wird er den Wählerwillen allerdings nicht lang genießen können, wenn er keine Unterstützung aus der Gesellschaft und von den europäischen Partnern erhält. Es kann gut sein, dass die Nationalversammlung und „die Straße“ zur Fundamentalopposition werden, falls er nicht liefern kann. Deutsch-französisches Pathos ist dabei genauso gefährlich wie proeuropäische Sonntagsreden.

Denn nur mit einem „grand plan“ für einen neuen, noch größeren Deich bleibt das europäische Hinterland vor Nationalismus nicht ausreichend geschützt. Europa braucht ein intelligentes, konsensorientiertes „Poldersystem“ nach alter niederländischer Art, mit vielfältigen demokratischen Strukturen, die Strömungen abfangen und ableiten können, bevor sich eine Sturmflut zusammenbraut. Die gesellschaftlichen Kräfte müssen in alle Richtungen grenzüberschreitend an den Sachfragen arbeiten: Stärkung der Eurozone, Verbesserung der Flüchtlingssituation, Kampf gegen Terror, Sicherung der EU-Außengrenzen, soziale Mitbestimmung, mehr Demokratie. Das sind die Themen, bei denen ein französischer Präsident Impulse setzen kann und muss. Ein weiteres wichtiges Signal wäre es, den im Juli auslaufenden Ausnahmezustand in Frankreich nicht zu verlängern.

Die neuen Regierungen in Paris und Berlin müssen der europäischen Demokratie dienen und die Gemeinschaftsinstitutionen vor allem in Straßburg und Brüssel stärken. Ein technokratischer intergouvernementaler Damm nach „Staatskanzlei-Art“ wird brechen.

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Karoline Münz
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