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  • 31.03.2020 - 09:03 GMT

EBD-Präsidentin zu ungarischem Notstandsgesetz

Berlin, 31. März 2020. Seit gestern darf Ungarns Regierungschef Viktor Orbán per Dekret und ohne demokratische Gewaltenteilung regieren: unbegrenzt, ohne automatische Überprüfung. Das Parlament hat mit den Stimmen der Regierungsmehrheit vor dem Hintergrund der derzeitigen Corona-Pandemie ein Notstandsgesetz verabschiedet, das Orbán mit Machtbefugnissen ausstattet, die nur in autoritären Staaten bekannt sind. Die im EU-Vertrag geforderte Rechenschaft gegenüber dem nationalen Parlament wird darin ausgehebelt. Die EU-Gesetzgebung betrifft Ungarn ebenso wie die anderen Mitgliedstaaten. Daher hat dies auch auf Letztere Auswirkungen – so auch auf Deutschland. 

„Es ist beschämend, dass die Regierung Orbán eine Gesundheitskrise in Ungarn nutzt, um per Dekret auf unbegrenzte Zeit durchregieren zu können und unliebsame Medien weiter einzuschränken“, kommentiert Dr. Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD), das umstrittene Gesetz. Die rasante Ausbreitung des Corona-Virus stellt die Menschen weltweit vor neue Herausforderungen. Die damit verbundenen besonderen Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Sie rechtfertigen aber keine nationalen Alleingänge und erst recht keine Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit und der europäischen Grundwerte. „Europa braucht in Krisen mehr Demokratie und unabhängige Medien und nicht weniger!“, betont Selle. Gerade heute ist es wichtiger denn je, die pluralistische Demokratie auf allen Ebenen zu fördern. Dies inkludiert, Angriffe auf die Pressefreiheit deutlich zu benennen und die Rahmenbedingungen für die freie Presse zu wahren.

Die Europäische Union muss der erkennbaren Verletzung der im Unionsvertrag genannten Werte nun entschlossen entgegentreten. Das Europäische Parlament hat zwar bereits ein Verfahren nach Art. 7 EUV zur Prüfung einer schwerwiegenden Verletzung der EU-Werte Ungarn eingeleitet, doch es fehlt an der konsequenten Einführung eines EU-Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte zur jährlichen unabhängigen Überprüfung der Einhaltung der europäischen Grundwerte. Eine klare Haltung der Regierungschefinnen und -chefs ist notwendig, um diesen Prozess zugügig voranzubringen. „Die Bundesregierung muss alle Möglichkeiten nutzen, sich für eine konsequente Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus (Art. 7 EUV) einzusetzen und die Einführung eines neuen Instruments zur Überwachung der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten zu unterstützen“, hatte der EBD-Vorstand bereits im Dezember beschlossen.

Das derzeit vielversprechenste Mittel, um dem ungarischen Notstandsgesetz Paroli zu bieten, ist der Einsatz fiskalischer Maßnahmen. Der EU-Haushalt, der derzeit im Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die kommenden sieben Jahren diskutiert wird, muss finanzielle Sanktionen bei Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit ermöglichen. Um die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit einzufordern, sollte jede Option für finanzielle Sanktionen oder eine durch die EU-Kommission gesteuerte Vergabe von Kohäsionsmitteln in Betracht gezogen werden.

Die Europäische Union ist eine auf demokratischen Grund- und Menschenrechten aufgebaute Wertegemeinschaft. Fest zu verankern sind diese Werte aber nur durch eine demokratische Gesellschaft, in der vielfältiges bürgerschaftliches Engagement geschützt und gefördert wird. Dies gilt für Krisenzeiten ebenso wie sonst auch. „Nur gelebte Werte sind starke Werte. Nur gemeinsam können wir unsere Werte glaubhaft und überzeugend vertreten“, ruft Selle die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten zu gemeinsamem Handeln auf. 

Über die EBD

Die Europäische Bewegung Deutschland e.V. ist das größte Netzwerk für Europapolitik in Deutschland. Als überparteilicher Zusammenschluss von 252 Interessengruppen aus Gesellschaft und Wirtschaft fühlt sich das Netzwerk EBD einem klaren pro-europäischen Auftrag verpflichtet. Die Mitgliedsorganisationen repräsentieren nahezu alle gesellschaftlichen Gruppen: Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften, Bildungsträger, wissenschaftliche Institute, Stiftungen, Parteien, Unternehmen, Kommunen und andere.

Die EBD fördert gemäß Satzung die europäische Integration in Deutschland und die grenzüberschreitende Kooperation der europäischen Zivilgesellschaft. Zusätzlich unterstützt das Netzwerk EBD seine Mitgliedsorganisationen in europäischen Informations-, Kooperations- und Bildungsaktivitäten. Seit 2013 definiert die Mitgliederversammlung der EBD jedes Jahr konkrete Politische Forderungen, die neben den inhaltlichen Arbeitsschwerpunkten die Grundlage ihrer Arbeit bilden.


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