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  • 09.05.2019 - 18:51 GMT

Jenseits von Weimar! Warum die europäische Demokratie wichtiger denn je ist

Gemeinsame Stellungnahme der Präsidenten der Europäischen Bewegungen Deutschland, Frankreich und Polen Dr. Linn Selle, Yves Bertoncini und Marcin Święcicki

Berlin, 9. Mai 2019. „Mehr Initiative für Europa“, „Europa erwacht“ und eine „Europäische Gemeinschaft 2.0“ – diese Stichwörter wurden von den Regierungen und ihren Vertreterinnen und Vertretern in den vergangenen Jahren verbreitet. Die neusten Forderungen unserer Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter lauten: „Europa richtig machen“ und „Europa erneuern.“ Festzustellen ist, dass keine unserer Regierungen zufrieden ist mit dem derzeitigen Zustand der Europäischen Union. Sogar Vertragsänderungen sind angedacht, um Europa auf innere und äußere Veränderungen vorzubereiten.

Unseren drei Mitgliedstaaten kommt eine besondere Verantwortung zu. Deutschland und Frankreich sollten sich vor anmaßenden Äußerungen gegenüber dem Rest der Gemeinschaft, insbesondere den osteuropäischen Staaten, hüten. Berlin und Paris sollten sich stärker um diplomatische Beziehungen bemühen, die multilateraler Natur sind und damit über die klassischen deutsch-französischen Beziehungen hinausgehen. Das traditionell freiheitsorientierte Polen sollte seine Rolle als treibende Kraft für eine paneuropäische und pluralistische Demokratie erneut einnehmen. Voraussetzung hierfür ist die Einhaltung des Gebotes der Rechtsstaatlichkeit, wie es in Artikel 2 EUV verankert ist.

Dabei gilt es nicht, in die alte Rhetorik des “Weimarer Dreiecks“ zu verfallen, sondern in einen multilateralen und pluralistischen Diskurs zu investieren, in dem innere und äußere Herausforderungen im Kreise aller europäischen Interessengruppen diskutiert werden können. Sollte das Weimarer Dreieck wieder aufleben, so darf es nur eine von vielen Plattformen der politischen Debatte sein.

EU-Gipfel in Sibiu: Chance für demokratischen Wettbewerb und Pluralismus?

Kurz vor den Europawahlen, der größten demokratischen Errungenschaft Europas der Nachkriegszeit, treffen sich die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag im rumänischen Sibiu. Das Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich war eine treibende Kraft, die die Reformdebatte bis nach Sibiu führte. Die unsichere Situation einte die 27 Mitgliedstaaten und stärkte den Zuspruch zur europäischen Integration bei den Bürgerinnen und Bürgern. Jedoch führen weder Sonntagsreden noch halbherzig durchgeführte „Bürgerdialoge“ zu konkreten Taten. Wir befürchten, dass auch nach Sibiu – ähnlich wie bei den Erklärungen von Berlin (2007), Bratislava (2016) und Rom (2017) – keine Konsequenzen folgen werden. Wieder wird es Lobeshymnen auf das gemeinsame Projekt Europa geben, wieder die – richtige – Forderung nach der Verteidigung Europas, aber sie allein sind nicht ausreichend. Die nationalen Regierungen sind keine Triebkräfte mehr für eine pluralistische europäische Demokratie.

Keine leeren Versprechungen mehr!

Die Staats- und Regierungschefs treffen sich kurz vor den Europawahlen. Doch auch dieses Mal werden sie versuchen, die Bedeutung der Wahlen des Europäischen Parlamentes herunterzuspielen. Wenige Tage danach wird ein Treffen folgen, bei dem einer eingespielten Linie gefolgt wird: Sie werden versuchen, die Stimme des Europäischen Parlamentes bei der Wahl des EU-Kommissionspräsidenten zu begrenzen. Es ist anzunehmen, dass das Ergebnis der nächsten Europawahl den nationalen Trends unserer Länder, nämlich der Zersplitterung der Parteifamilien, folgen wird. Die Mehrheit der europäischen Wählerschaft fordert jedoch ein starkes, demokratisches Europa. Nationalistische Zerstörungskräfte können und müssen im Rahmen eines konstruktiven Wettbewerbes bezwungen werden.

Das Potential unseres zukünftigen Parlamentes

Das Europäische Parlament als das einzige von den Bürgerinnen und Bürgern direkt legitimierte EU Organ muss das Zentrum für parlamentarische demokratische Gesetzgebung werden. Wir brauchen ein Initiativrecht für das Europäische Parlament! Eine transparente und wettbewerbsorientierte Arbeitsweise der beiden gesetzgebenden Institutionen, des Rates der Europäischen Union und des Parlaments, muss ebenfalls sichergestellt werden.

Die EU wird handlungsfähiger sein, wenn Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat gewährleistet sind. Wir brauchen ein neues Wahlsystem mit überregionalen Listen, Minderheitenschutz und Repräsentation. Dies macht eine Änderung der Europäischen Verträge unumgänglich, stellt aber einen großen Schritt zur Verringerung des Demokratiedefizits, der Förderung europäischer demokratischer Grundwerte und der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit dar.

Zukünftige Herausforderungen

Eine frühzeitige und differenzierte Kommunikation und ein offener Dialog sind wirksame Mittel gegen den Vertrauensverlust in die Politik, auch auf europäischer Ebene. Demokratisch legitimierte und soziale Akteure müssen sich gegenseitig zu fairem Wettbewerb auf allen Ebenen anhalten. Europa sollte führend bleiben im Bereich Klimaschutz sowie bei der Gewährleistung des umfassendsten Sozialstaatsmodells und des Wohlstands in allen Regionen des Kontinents.

Die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes, der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital, erfordern eine sorgfältige und nachhaltige Kontrolle. Eine wirksame Unterstützung der regionalen Entwicklungen kann durch eine Festigung der bestehenden Agrar- und Regionalpolitik sowie wettbewerbsorientierter Investitionsprogramme gestärkt werden. Zudem braucht es wirkungsvolle Instrumente der European Public Diplomacy und in der Verteidigungszusammenarbeit.

Wir benötigen einen offenen Wettbewerb mit innovativen Ideen und Konzepten, um ein gemeinsames europäisches Wohlfahrtssystem aufzubauen. Es bedarf jedoch auch eines dezentralen Instrumentes zur Kontrolle der Außengrenzen der EU, das die Zuwanderung managt und gleichzeitig die größtmögliche humanitäre Solidarität mit Flüchtlingen sicherstellt. Gemeinsame, intelligente Regierungsführung kann einen starken und offenen Schengen-Raum herstellen. Unser gemeinsames Ziel ist größtmögliche Freizügigkeit innerhalb der EU.

Unser Ziel muss die Etablierung bestmöglicher Regierungsstandards in den südosteuropäischen Staaten, den Westbalkanstaaten, sein. Ein stabiles Europa benötigt einen wachsenden westlichen Balkan. Daher sollte im Rahmen des „Berliner Prozesses“ zur Integration der Westbalkan-Staaten die Bemühungen verstärkt werden, die demokratisch organisierte Kräfte in der EU und vor Ort einzubeziehen und wirksam zu unterstützen.

Stabilität, Solidarität und die strategische Verantwortung für ein umfassendes, demokratisches Europa werden durch die reibungslose Umsetzung der Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, der Republik Moldau, Armenien und Georgien sichergestellt.

Investitionen in die europäische Demokratie sind Investitionen in die Zukunft. Wir müssen unsere demokratischen Kräfte auf allen Ebenen unserer europäischen Gemeinschaft neu beleben und ausbauen. Dieses Engagement muss über die Handlungsmöglichkeiten der europäischen Institutionen hinausgehen. Lasst uns das demokratische Spielfeld zwischen unseren Mitgliedstaaten, Interessengruppen und vor allem den Bürgerinnen und Bürgern Europas stärken.

Der Text ist auch auf Englisch, Französisch und Polnisch erschienen. Weitere Sprachversionen:

 


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