Pressemitteilung
„Weniger Demokratie wagen“ … ein gefährliches Spiel!
Berlin, 5. April – „Sherpakratie“ statt Demokratie: Europa gerät aus den Fugen – und das hat neben aktuellen vor allem strukturelle Gründe, schreibt EBD-Präsident Dr. Rainer Wend in seinem aktuellen „Europapolitischen Einwurf“.
Die Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion sei lausig, um echte Lösungen zu erarbeiten, bedürfe es des Mutes zu weitreichenden Vertragsänderungen mit mehr Gemeinschaft, Demokratie, Transparenz und Verantwortung. Doch aus Angst manch zunehmend nationalistisch eingestelltem Wahlvolk können weder die Politiker noch ihre Sherpas beherzt handeln. Nicht-Handeln sei jedoch keine Option, argumentiert Wend und erinnert an Willy Brandt: „,Mehr Demokratie wagen‘ war ein großes Wort von Altbundeskanzler Willy Brandt. Es hatte, aber – was viele nicht wissen – auch eine europäische Dimension: ,Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden, im Innern und nach außen!‘ Das muss endlich für alle EU-Länder gelten!“
Der „Europapolitische Einwurf“ von EBD-Präsident Dr. Rainer Wend im Wortlaut:
„Weniger Demokratie wagen“… ein gefährliches Spiel!
„Sherpacrazia“ nannte es ein italienischer Regierungsvertreter neulich und brachte so den Politikstil im Euroland auf den Punkt. Nicht Demokratie, sondern „Sherpakratie“ herrsche vor. Nun sind Sherpas eigentlich sympathische Menschen. Die Bergführer gelten als bescheiden, effizient und ja, unbekannt. Sherpas in der Europäischen Union sind das wohl auch. Doch leisten sie ihre Arbeit nicht in unzugänglichen Bergregionen, sondern in europäischen Demokratien. Und da haben wir unser Problem.
Denn während die Sherpas die Politik ohne Kompass durch den Nebel führen, herrscht drumherum in Europas Öffentlichkeit (ja, die gibt es nun) ein Hauen und Stechen.
Lassen wir mal dahingestellt, ob wir armen Deutschen wirklich so schlecht angesehen sind. Fakt ist, dass landauf, landab die unerträgliche Leichtigkeit des Nationalismus vorherrscht. Selbst Qualitätsmedien vereinfachen das Bild auf Kosten des jeweils anderen Staates. Nicht das Verstehen und der Ausgleich herrscht vor, sondern der billige Effekt.
Deutschland und Griechenland sind nur die Spitze des Eisberges der Unkultur. Nationalistische Parteien gewinnen durch das Schüren der Angst vor Einwanderung ausgerechnet in jenen Ländern die Überhand, die einst als Hort der Pressefreiheit und Demokratie galten. Frankreich und England ersticken am gegenseitigen Misstrauen zwischen den Mächtigen und dem Volk.
Europa scheint aus den Fugen zu geraten.
Aber dies hat eben nicht nur aktuelle, sondern strukturelle Gründe. Machen wir es uns einfach und klagen zunächst Europa an: Die Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion ist lausig. Jüngstes Beispiel: Nicht die Troika wurde abgeschafft, sondern ihr Name. Ein Witz. Aber um echte Lösungen zu erarbeiten, bedarf es des Mutes zu weitreichenden Vertragsänderungen. Mehr Gemeinschaft, Demokratie, Transparenz und Verantwortung sind die Stichworte. Nur: Beherzt handeln können weder Politiker noch Sherpas. Aus Angst vor eben jenen, die man schon längst nicht mehr genügend einbindet in der Reiseplanung: dem Wahlvolk.
Noch gravierender ist die Angst vor der Wahrheit auf mitgliedstaatlicher Ebene. Längst gibt es dort Gesellschaften, die weniger Demokratie wagen. Wir erheben keinen Widerspruch und wundern uns dann, dass dieses „Weniger an Demokratie“ ansteckend ist. Wie frei ist die Presse, die gerne dumpfe Nationalismen bedient? Wie reformfähig sind korruptionsanfällige Gesellschaften? Wie demokratisch sind Wahlsysteme, die einen großen Teil der Wählerstimmen unberücksichtigt lassen? Wie steht es um Politiker, die Minderheiten zu Sektierern stempeln, um ihre eigene Intoleranz zu verdecken?
Ein Blick auf die verschiedenen Transparenz- und Korruptionsindizes beweist: Schon vor der Finanzkrise gab und gibt es enorme Probleme in den europäischen Gesellschaften. Die Gemeinwesen leiden schon lange an mangelndem gesellschaftlichen Pluralismus und Demokratie. Die Jugend hatte schon vor der Krise wenig Chancen.
Wer nun meint, Europa könnte keine Lösung für „interne“ gesellschaftliche und staatliche Probleme bieten, der sollte sich die enormen Leistungen in Ost- und Mitteleuropa vergegenwärtigen.
„Mehr Demokratie wagen“ war ein großes Wort von Altbundeskanzler Willy Brandt. Es hatte, aber – was viele nicht wissen – auch eine europäische Dimension: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden, im Innern und nach außen!“ Das muss endlich für alle EU-Länder gelten!
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