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Europakommunikation, Institutionen & Zukunftsdebatte

Brüssel-Alumni blicken auf den Koalitionsvertrag | Treffen ehemaliger EU-Korrespondentinnen und -korrespondenten

Wie viel Europa steckt im Koalitionsvertrag und was sagt dieser über die europapolitische Ausrichtung der neuen Bundesregierung aus? Wer könnte diese Fragen besser beantworten als ehemalige Brüssel-Korrespondentinnen und -korrespondenten, die die Beziehungen zwischen Berlin und Brüssel viele Jahre eng begleitet und darüber berichtet haben. Mit Unterstützung der Belgischen Botschaft in Deutschland fördert die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) den Austausch dieses wachsenden Netzwerks von Brüssel-Alumni in Berlin. In Anbetracht der sich verschärfenden Corona-Lage fand das Treffen am 29. November 2021 in kleiner Runde und unter strengen 2G-Auflagen statt. 

Das Treffen wurde eingeleitet durch ein Grußwort des Botschafters und Gastgebers Geert Muylle. Nach einem kurzen Input zum europapolitischen Anstrich des Koalitionsvertrags durch Florian Eder, Mitbegründer von „Politico Europe“ und „Politico“-Chefredakteur für Deutschland, wurde die Diskussion von EBD-Generalsekretär und Moderator Bernd Hüttemann für alle Journalistinnen und Journalisten eröffnet. 

„Mehr Fortschritt wagen“ lautet der Titel des Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung. Mit Blick auf Europa, darin bestand große Einigkeit, verbreitet er durchaus Aufbruchsstimmung: Das Bekenntnis zu einem „föderalen europäischen Bundesstaat“, zur Konferenz zur Zukunft Europas inklusive möglicher Vertragsänderungen, zu Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik zeigt, dass die neue Bundesregierung ein starkes, demokratisches und strategisch souveränes Europa anstrebt. Der Koalitionsvertrag signalisiert ebenso deutlich, wie Europa endlich als Querschnittsthema verstanden wird, das nicht nur einen Teil deutscher Außenpolitik darstellt, sondern eng mit deutscher Innenpolitik verzahnt ist. Wie ein roter Faden durchzieht Europa die Handlungsfelder der neuen Bundesregierung, beispielsweise bei den Themen Migration, Klima und Wirtschaft.

So wurde der Koalitionsvertrag beim Thema Europa insgesamt politischer und entschlossener beurteilt als jener des Kabinetts Merkel. Beispielsweise kündigt die neue Bundesregierung einen konsequenteren Umgang mit Rechtsstaatlichkeitsverletzungen an. Allerdings identifizierten die ehemaligen Brüssel-Korrespondentinnen und -Korrespondenten schon jetzt zahlreiche Spannungsfelder, die sich in der deutschen Europapolitik abzeichnen. Denn so harmonisch die Koalitionspartnerinnen und -partner bei den Verhandlungen zum Thema Europa auch wirkten, bei Fragen wie der Aufnahme von Atomkraft in die neue EU-Taxonomie könnte diese Einheit ins Wanken geraten. Im Koalitionsvertrag wird auch auf eine Erwähnung, geschweige denn einer Positionierung zur Ostsee-Gaspipeline Nord-Stream-2, verzichtet, was innerhalb der Ampelkoalition noch für ein politisches Tauziehen sorgen dürfte.

Ein weiteres Spannungsfeld bildet die europapolitische Koordinierung innerhalb der Bundesregierung, die noch einige Fragen aufwirft. Während sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag zu einer „stringentere(n) Koordinierung“ verpflichtet, bleibt deren Umsetzung noch weitestgehend unklar. Die Besetzung des Amtes der Außenministerin mit Annalena Baerbock drückt der Bundesregierung zwar einen europapolitischen Stempel auf, nur wird dieser nicht vor Disputen zwischen den Koalitionsparteien schützen. Und welche Rolle trägt eigentlich der voraussichtliche Bundeskanzler Olaf Scholz in dieser europapolitischen Gemengelage? 

Die Diskussionsrunde der Brüssel-Alumni bot viel Gesprächsstoff zu den Erwartungen an die deutsche Europapolitik unter der Ampel-Regierung. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Vorhaben des Koalitionsvertrages umgesetzt werden. Denn auch der Koalitionsvertrag der vorherigen Regierung machte europapolitischen Mut und blieb letztlich hinter den Erwartungen zurück. Eine weitere unbekannte Variable ist die Entwicklung der Corona-Pandemie. Mit Blick auf die zunehmend angespannte Coronalage könnten sich die Prioritäten der Bundesregierung zunächst verschieben und erst mit erheblicher Verzögerung in Angriff genommen werden. Und auch abseits der Pandemie wird es ein europapolitisch bewegtes Jahr 2022, in dem Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und die französische Präsidentschaftswahl darüber entscheidet, wie es mit der deutsch-französischen Partnerschaft weiter geht. Und die Europawahl 2024 rückt ebenso in Sichtweite.

Weitere Informationen

  • Grundlagenmemorandum der EBD zur europapolitischen Koordinierung der Bundesregierung in der 20. Legislaturperiode (Teil A, Teil B)