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  • 11.01.2011 - 17:16 GMT

Deutsche Bank: Komitologie, zweite Auflage – Über Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte

Über ein Jahr ist seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon vergangen. Die umfassende Vertragsänderung ermöglichte Reformen in vielen Bereichen des Gemeinschaftsrechts – so auch im Feld der Komitologie. Dieses System von Experten- und Verwaltungsausschüssen, das bislang Durchführungsbestimmungen für EU-Rechtsakte erarbeitete, wird in diesem Jahr weiterentwickelt. Ab dem 1. März erhalten Kommission und Parlament mehr Einfluss. Welche Veränderungen stehen genau bevor? Und wie wirkt sich das auf die Regulierung des Finanzsektors aus?

Vor Lissabon gab es eine Rechtsgrundlage (Art. 202 EGV) für das Komitologieverfahren. Der reformierte Vertrag enthält zwei Rechtsgrundlagen (Art. 290 und 291 AEUV) für zwei verschiedene Arten von Rechtsakten: Die delegierten Rechtsakte und die Durchführungsrechtsakte. Worin liegt der Unterschied?
– Delegierte Rechtsakte (Art. 290 AEUV): Ministerrat und Parlament können die Kommission in einem Gesetzgebungsakt dazu ermächtigen, delegierte Rechtsakte zu erlassen. Allerdings darf dies nur im Falle von Ergänzungen oder Abänderungen nicht wesentlicher Elemente eines Rechtsaktes geschehen. Die Kommission wird von Ministerrat und Parlament kontrolliert. Diese haben das Recht, Maßnahmen der Kommission zurückzuweisen und/oder die Übertragung der Befugnisse zu widerrufen. Allerdings hat der Ministerrat gleich doppelt Einflussmöglichkeiten eingebüßt. Vor Lissabon war der Rat alleine für die Übertragung von derartigen Durchführungsbefugnissen zuständig – nun muss er diese Kompetenz mit dem Parlament teilen. Außerdem benötigte der Rat vorher für einen Einspruch nur eine einfache Mehrheit, während nun eine qualifizierte Mehrheit (55% der EU-Mitgliedstaaten, die mindestens 65% der EU-Bevölkerung umfassen) erforderlich ist. Der Anwendungsbereich delegierter Rechtsakte ergibt sich aus dem Vertrag und die genauen Bedingungen für die Übertragung der Befugnisse werden in jedem einzelnen Gesetzgebungsakt festgelegt.
– Durchführungsrechtsakte(Art. 291 AEUV) gehen einen Schritt weiter. Prinzipiell sind für die Durchführung von Rechtsakten die Mitgliedstaaten zuständig. Sofern es aber einheitlicher Bedingungen für die Durchführung verbindlicher Rechtsakte bedarf, können der Kommission (und in Ausnahmefällen auch dem Rat) Durchführungsbefugnisse übertragen werden. Die Kontrolle erfolgt weiterhin über 266 Ausschüsse (Stand: Ende 2009), die von Vertretern der Mitgliedstaaten besetzt sind und die von einem Vertreter der Kommission geleitet werden.

Nach dem jüngsten Kompromiss dürfte das Kräfteverhältnis der europäischen Institutionen weitaus weniger betroffen sein als zunächst befürchtet. Delegierte Rechtsakte ermöglichen zwar eine befristete Übertragung von Befugnissen an die Kommission, umfassen jedoch ein Widerrufsrecht für Rat und Parlament. Um den Erlass eines delegierten Rechtsaktes zu verhindern, müssen Rat oder Parlament innerhalb einer bestimmten Frist (i.d.R. im Basisrechtsakt festgelegt) Einwände erheben. Abgesehen davon ist die Kommission jedoch weitgehend frei, was den tatsächlichen Erlass von delegierten Rechtsakten angeht.
Zur näheren Bestimmung des Anwendungsbereichs von Durchführungsrechtsakten hatte die Kommission im März 2010 einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der der Kommission weitreichende Rechte einräumte. Mittlerweile haben sich Rat, Parlament und Kommission jedoch auf einen Kompromiss geeinigt, der die Rechte der Kommission wieder etwas einengt. Für die Verabschiedung von Durchführungsrechtsakten sieht die vom Parlament bereits angenommene voraussichtlich am 1. März 2011 in Kraft tretende Verordnung zwei Verfahrensarten vor:
– Das Prüfverfahren wird bei Durchführungsmaßnahmen von „allgemeiner Tragweite“, „Programmen mit substantiellen Auswirkungen“ und Durchführungsmaßnahmen der Sektorpolitiken (insb. Agrar- und Fischereipolitik und Handelspolitik) und im Hinblick auf Steuern angewandt. Falls der jeweilige Ausschuss in seiner Stellungnahme den Kommissionsentwurf ablehnt, kann die Kommission diese Maßnahmen nicht verabschieden sondern muss ihn dem Ausschuss oder einer Beschwerdekammer („appeal committee“) erneut vorlegen. Nimmt der Ausschuss innerhalb einer bestimmten Frist nicht Stellung, kann die Kommission den Durchführungsrechtsakt erlassen – es sei denn, es handelt sich um Maßnahmen im Feld der Steuerpolitik, Finanzdienstleistungen, Sicherheit oder Gesundheit von Menschen.
– Das Beratungsverfahren wird in allen anderen Fällen angewandt. Im Beratungsverfahren berücksichtigt die Kommission das Votum des Ausschusses „so weit wie möglich“.
Wann genau Durchführungsrechtsakte Anwendung finden, wird der europäische Gesetzgeber, also Rat und Parlament entscheiden, und nicht, wie im ursprünglichen Entwurf vorgesehen, der Zufall oder die Kommission. Auch die Verankerung des Prüfverfahrens als Standardverfahren ist dem jüngsten Kompromiss dank Einspruch des Parlaments zu verdanken. Erst die konkrete Anwendung wird aber zeigen, wie die Bestimmungen von den Institutionen interpretiert werden.
Besonders interessant sind die Implikationen der Reform für den Finanzsektor. So hat sich die Kommission zwar verpflichtet, das so genannte Lamfalussyverfahren im Bereich der Finanzdienstleistungen beizubehalten: Bei ihren Entwürfen für delegierte Rechtsakte wird sie weiterhin die vier Fachausschüsse konsultieren: Den Europäischen Bankenausschuss (EBC), den Europäischen Wertpapierausschuss (ESC) den Europäischen Ausschuss für das Versicherungswesen und betriebliche Altersvorsorge (EIOPC) und den Ausschuss für Finanzkonglomerate (EFCC).Folgende Beispiele zeigen jedoch, dass die neuen Verfahren auch auf die Regulierung von Finanzdienstleistungen starke Auswirkungen haben werden:
– Beinahe jedes für den Finanzmarkt relevante Gesetz – von MiFID bis CRD – verweist auf den bisherigen Komitologiebeschluss, den die neue Verordnung ablöst. Dies verankert die reformierte Komitologie in der bestehenden europäischen Finanzmarktregulierung mit unmittelbarer Wirkung.
– Die neuen Aufsichtsbehörden (EBA, ESMA und EIOPA) werden eine große Rolle bei dem Entwurf von delegierten und Durchführungsrechtsakten im Bereich Finanzdienstleistungen einnehmen. Im Verordnungsentwurf für die EBA ist vorgesehen, dass Parlament und Rat lediglich einen Monat zur Reaktion auf delegierte Rechtsakte haben, wenn die EBA einen Entwurf vorgeschlagen hat, der von der Kommission ohne Änderungen angenommen wurde.
– Nach Vorschlag der neuen Einlagensicherungsrichtlinie sollen künftig Definition und Skalierung des Risikokoeffizienten – und damit die Anforderungen an eine Bank, mit risikoreicherem Geschäft auch entsprechend höhere Beiträge in die Einlagensicherung einzuzahlen – per delegiertem Rechtsakt erfolgen. In der Richtlinie wird voraussichtlich nur festgelegt, dass der Risikokoeffizient zwischen 75% und 200% der zu entrichtenden Beiträge liegt, alles weitere bliebe der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und der Kommission überlassen. Der Unterschied zwischen zwei Kategorien von Risikokoeffizienten liegt entsprechend dem aktuellen Richtlinienvorschlag im Bereich von mehreren 10 Millionen Euro pro Jahr für eine größere Bank. Es sind also keine Peanuts, die die Kommission hier bewegen kann.
Die Reform des Komitologieverfahrens steht im Zeichen eines allgemeinen Zugewinns an Einfluss des Parlaments. Dieser Einflussgewinn ist positiv zu werten, darf jedoch nicht zu einer Verzögerung des Gesetzgebungsprozesses führen. Zu wichtig sind anstehende Projekte der Gesetzgebung – so etwa die Reform der Einlagensicherung, die Überarbeitung der MiFID und der CRD – die dringend in Angriff genommen werden müssen.
Durchführungsrechtsakte ermöglichen eine homogenere und reibungslosere Umsetzung von Richtlinien in den Mitgliedstaaten. Für die weitere Integration des Binnenmarktes ist das eine große Chance. Diese Chance muss nun genutzt werden – allen voran vom Parlament, das durch seinen neuerlichen Kompetenzgewinn in der Pflicht steht.