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  • 17.05.2010 - 15:09 GMT

Deutsche Bank: Mehr Überwachung, mehr Sanktionen – Europäische Wirtschaftspolitik, zweite Auflage

Am 12. Mai präsentierte die Europäische Kommission ihre Vorschläge für eine effektivere wirtschaftspolitische Koordinierung in der Eurozone. Die Vorschläge sind den Ereignissen der letzten Monate geschuldet und verfolgen drei Ansatzpunkte.

1. Wirksame und zeitnahe haushaltspolitische Koordinierung.
a) Korrektiver Arm: Das Kriterium des Schuldenstandes erhält mehr Relevanz im Defizitverfahren. Künftig soll es schon auf frühen Stufen des Defizitverfahrens möglich sein, Zahlungen aus den Kohäsionsfonds für jeden Mitgliedstaat einzufrieren. Diese Konditionalität soll auch auf andere Bereiche des EU-Haushalts ausgeweitet werden, um nicht nur Empfängerländer des Kohäsionsfonds zu erreichen.
b) Präventiver Arm: Die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sollen zu einem früheren Zeitpunkt bewertet werden, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen. Nationale Haushaltsregeln sollen künftig die Prioritäten des SWP widerspiegeln und damit wirkungsvoller sein. Im Falle unzulänglicher Konsolidierungsbemühungen drohen verzinsliche Einlagen.
2. Überwachung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Eurozone. Ein Punktesystem mit Schwellenwerten soll den nationalen Reformbedarf aufzeigen, um Ungleichgewichte zu reduzieren – etwa im Hinblick auf Leistungsbilanzen, Produktivität oder Lohnstückkosten.
3. Wirtschafts- und Haushaltspolitik werden demnächst ex ante koordiniert. Jährliche Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sollen künftig am Anfang des Vorjahres im Rahmen einer Peer-Review durch Kommission und Mitgliedstaaten geprüft werden und dadurch die jeweilige Haushaltsaufstellung beeinflussen. Dies soll innerhalb eines europäischen Semesters in jedem ersten Halbjahr erfolgen, in dem die Mitgliedstaaten ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik mit Rat und Kommission abstimmen.
Nach den kurzfristigen Maßnahmen der Rettung Griechenlands und des gigantischen Rettungsschirms für finanzschwache Mitgliedstaaten zielen diese Pläne der Kommission nun auf langfristige realwirtschaftliche Bedingungen ab. Im Mittelpunkt der neuen Vorschläge steht die Beschleunigung der Überwachung von Wirtschaftspolitik und Haushalten. Der jüngst diskutierte Vorschlag, Haushaltsbeschlüsse der Euroländer von der Zustimmung der Kommission abhängig zu machen, wird in der Vorlage nicht angesprochen. Gleichwohl könnten die wechselseitige Überwachung der nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitiken sowie die Möglichkeit der Kommission, Empfehlungen zu Haushaltsprioritäten zu veröffentlichen, einen bedeutenden Einfluss auf die nationalen Haushaltsprozesse haben. Europäische Koordinierung wird bald Vorfahrt haben.
Die Vorschläge der Kommission sind aus mehreren Gründen positiv zu bewerten.
* Die enorme Wirkungsverzögerung des Defizitverfahrens und seiner Sanktionen – ein Kernproblem des Stabilitätspakts – wurde verbessert. Die vorgesehene Peer-Review, das frühere Greifen der Sanktionen und die Ausweitung der Konditionalität auf andere Felder des EU-Haushalts könnten die Anreizstruktur des Stabilitätspakts weiter verbessern und Länder bei haushaltspolitischen Fehlentwicklungen früher zum Einlenken bewegen.
* Ein gutes Zeichen ist, dass die Wirtschaftsstruktur der Mitgliedstaaten weiterhin im Systemwettbewerb bleibt. Makroökonomische Zielwerte werden zwar zum Vergleich der Staaten hinzugezogen – Koordinierung mit verbindlichen Zielen und Sanktionen, soll aber vorerst nur im Bereich der Fiskalpolitik stattfinden. Die verstärkten, sanktionsbewehrten Vorgaben für die Haushaltspolitik bei erhöhter Informationstransparenz in Form eines Punktesystems für makroökonomische Variablen deuten darauf hin, dass sich wirtschaftspolitische Koordinierung in der Eurozone auch weiterhin an haushaltspolitischen Zielwerten ausrichten wird.
* Im Systemwettbewerb verbleibt die Beweislast bei den Mitgliedstaaten. Ihr haushalts- und strukturpolitischer Beitrag wird entscheidend sein, den Märkten Vertrauen zu signalisieren. Die erhöhte Transparenz, die der Kommissionsvorschlag vorsieht, könnte den Druck auf die Mitgliedstaaten noch einmal deutlich erhöhen.
Was bringen die kommenden Monate? Die jüngsten Vorschläge aus Brüssel führen den Paradigmenwechsel europäischer Wirtschaftspolitik – mehr Sanktionspotenzial, mehr Konditionalität, mehr Überwachung – der letzten Wochen konsequent fort. Die Mechanismen, die in den letzten Wochen aufgestellt wurden, um eine kurzfristige Rettung von Mitgliedstaaten zu ermöglichen, werden in den kommenden Monaten ergänzt durch Reformen, die die langfristige Nachhaltigkeit der Wirtschaftsstrukturen und Haushaltspolitik gewährleisten soll. Die Vorschläge der Kommission sind dazu ein erster Schritt.
Geht es nach der Kommission, wird wirtschaftspolitische Koordinierung in der Eurozone künftig zügiger und transparenter vollzogen – transparenter nicht nur für die Politik, sondern auch für die Finanzmärkte. Das bedeutet freilich nicht, dass dies die Probleme einiger Mitgliedstaaten lösen würde. Viele Mitgliedstaaten stehen erst am Anfang ihrer Reformanstrengungen. Europäische Wirtschaftspolitik wird sich daher auch weiterhin an den Ergebnissen ihrer Koordinierung und nicht an gemeinsamen Zielen messen lassen müssen. Auch der beste Vorschlag der Kommission kann immer nur so stark sein wie der politische Wille der Mitgliedstaaten.