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  • 20.10.2011 - 14:04 GMT
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DGAP: Der erfolgreiche Abstieg Europas – Buchvorstellung mit Eberhard Sandschneider und Martin Schulz

Der Bedeutungsverlust Europas scheint besiegelt. Sein Anteil an der Weltbevölkerung und sein politischer Einfluss schrumpfen, während die wirtschaftliche und politische Macht von Schwellenländern wie China wächst. Angst haben müssen die Europäer davor aber nicht. Wenn sie neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln, können sie ihren Einfluss und Wohlstand sichern, so Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Am 4. Oktober diskutierte er in Berlin die Thesen seines neuen Buches bei einer Veranstaltung mit Martin Schulz, dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament.

EU und USA könnten ihren alleinigen Führungsanspruch in wichtigen internationalen Institutionen wie der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds nicht mehr rechtfertigen, sagte Sandschneider. Um Konflikte zu vermeiden, sollten sie diese Schlüsselpositionen für Schwellenländer öffnen. „Wir müssen den neuen Mächten Platz machen, um uns selbst einen Platz zu bewahren.“
Weniger Bevormundung, mehr Pragmatismus

Bisher habe die EU versucht, ihren Einfluss zu stärken, indem sie ihre Vorstellung von Menschenrechten und Demokratie zur Voraussetzung für internationale wirtschaftspolitische Zusammenarbeit mache. Doch diese Strategie funktioniere künftig nicht mehr, weil sich selbstbewusste asiatische Länder wie China und Indonesien nicht bevormunden ließen. Europa solle zu seinen Werten stehen, ohne sie missionarisch zur Bedingung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu machen. Die europäischen Außenpolitiker müssten pragmatischer werden und von Fall zu Fall auch mit Autokratien zusammenarbeiten.
Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, widersprach dieser These vehement. Eine konsequente Wertepolitik könne andere Länder durchaus zu mehr Demokratie bewegen und den politischen Einfluss der EU vergrößern. „Der Arabische Frühling hat gezeigt, dass der Wunsch nach Demokratie und Freiheit auch außerhalb des Westens lebendig ist.“
Neue Formen der Zusammenarbeit nötig
An den europäischen Debatten über Ressourcen und Energiepolitik sei erkennbar, dass geopolitische Faktoren immer wichtiger für internationale Bündnisse würden, sagte Sandschneider weiter. „Diese sind nicht an Regierungsformen, sondern an Regionen gebunden.“ Europa müsse sich vom klassischen Bündnispartner USA emanzipieren, flexiblere Partnerschaften sowie neue interessenpolitische Formen der Zusammenarbeit entwickeln.

Die USA selbst hätten aus dem Aufstieg der Schwellenländer bereits Konsequenzen für ihre Außenpolitik gezogen. Während Europa für sie nur noch eine geringe außenpolitische Rolle spiele, konzentriere sich die amerikanische Regierung zunehmend auf China und Russland. Die Europäer sollten aufhören, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und Handlungsfähigkeit demonstrieren. Dabei müssten sie nicht unbedingt mit einer Stimme sprechen. So sei es vertretbar, wenn bestimmte wirtschaftliche oder politische Entscheidungen nicht von allen, sondern von vielen Mitgliedsstaaten mitgetragen werden.
Entscheidungen treffen statt über Entscheidungsformen diskutieren

Auch Schulz kritisierte, dass EU-Politiker sich häufig in Debatten um Entscheidungsformen verlören und dadurch keine geeigneten Strategien zur Stärkung Europas entwickelten. Dennoch hält er außenpolitische Entscheidungen im Konsens für nötig, damit sich Europa als Region wirtschaftlich behaupten und den möglichen Abstieg bremsen kann. Dass die EU heute zu den wichtigsten wirtschaftlichen Akteuren gehöre, zeigt nach Ansicht des Politikers, dass sie die Interessen der Mitglieder auch auf einem zunehmend von Schwellenländern dominierten Weltmarkt gut vertreten könne. Daher sei es gefährlich, dass immer mehr Mitgliedstaaten Kompetenzen der EU in Frage stellten. „Um unseren Einfluss zu sichern, brauchen wir eine vom Europäischen Parlament gewählte und demokratisch legitimierte europäische Regierung.“
Autorin: Annette Kaiser