DGAP | Zeitenwende für Europas Sicherheitsordnung
Entwicklungsoptionen in drei Skizzen
Der von Russland im Februar begonnene Angriffskrieg auf die Ukraine hat die bisherige europäische Sicherheitsordnung zerstört. Bereits jetzt muss die von der Bundesregierung proklamierte Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik eine neue Ordnung ins Auge fassen und gestalten, um erfolgreich zu sein. Schlüsselfaktoren sind die Einigkeit Europas in strategischen Politikfeldern sowie Russlands Positionierung gegenüber dem Rest Europas. Die drei Zukunftsoptionen – Konfrontation, Koexistenz oder Kooperation – identifizieren die Grundlagen für ein starkes Europa.
- Europa sollte sich mit Blick auf Russland auf drei Entwicklungsmöglichkeiten vorbereiten – Konfrontation, Koexistenz, Kooperation – und dementsprechend handeln
- Nur ein starkes Europa kann eine Sicherheitsordnung mitgestalten, die es erlaubt, die eigenen Interessen in einer dauerhaft unfriedlichen Welt durchzusetzen
- Für eine neue Sicherheitsordnung bedarf es europäischer Einigkeit in strategischen Politikfeldern: regel- und rechtsbasierte internationale Ordnung, europäische Verteidigung, Klimaschutz und Energieunion, geoökonomische Resilienz und technologische Souveränität
Russlands völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine setzt eine tektonische Verschiebung in Europas Sicherheitsordnung in Gang. Der Krieg hat schon nach wenigen Wochen die Weltpolitik stärker erschüttert als es andere Entwicklungen in den drei Jahrzehnten seit 1989 getan haben: Deutschland ruft eine historische Zeitenwende aus und kündigt erhebliche Investitionen in Verteidigung und Energiesicherheit an; die NATO erhöht ihre Präsenz an der Ostflanke des Bündnisses massiv; Schweden und Finnland erwägen einen NATO-Beitritt; die EU liefert Waffen an die Ukraine; Russlands zunehmende Isolation infolge der wirtschaftlichen und politischen Sanktionen lassen es schneller und näher an China rücken.
Der Konflikt verändert zudem die globalen Macht- und Ordnungsstrukturen. Weltweit steigen Energiepreise. Die Sorge vor Nahrungsmittelknappheit wächst, da Russland und die Ukraine weit über Europa hinaus als Kornkammern gelten. Europa beschleunigt seine Bemühungen, von globalen Lieferketten unabhängiger zu werden, sei es durch Reshoring, sprich Produktion in Europa, oder Diversifizierung der Anbieter. Der global entgrenzte Cyberraum gewinnt im Zuge der Eskalation als Austragungsort weiter an sicherheitspolitischer Bedeutung, auch für Staaten, die nicht militärisch involviert sind. Der Kampf gegen den Klimawandel als zentraler Faktor langfristiger europäischer und globaler Sicherheit droht in den Hintergrund zu geraten.
Die Bundesregierung und das Parlament stehen vor der Herausforderung, eine Zielperspektive für die ausgerufene Zeitenwende zu entwickeln: Wie kann Deutschland eine neue europäische Sicherheitsordnung mitgestalten? DGAP-Expertinnen und -Experten skizzieren drei unterschiedliche Entwicklungspfade und zeigen dabei Handlungsoptionen auf.