DIHK | Erholung der Wirtschaft in den Mittelpunkt der EU-Ratspräsidentschaft rücken
Am 1. Juli übernimmt Deutschland für sechs Monate die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union – Zeit, die es nach Auffassung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) gut zu nutzen gilt.
„Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft muss die Erholung der Wirtschaft nach der Corona-Krise in den Mittelpunkt ihrer Aufgaben rücken“, mahnt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. „Aus Sicht der Wirtschaft müssen die Aktivitäten neben der Eindämmung der Pandemie konsequent auf ein Ziel ausgerichtet werden: die Unterstützung von Wachstum und Investitionen.“
Dies sei zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgelasten dringend geboten, so Schweitzer. „Der Dreiklang dazu lautet: mehr Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie und keine neuen Belastungen“, fasst er die zentralen Punkte zusammen. Andernfalls würden neue Auflagen den wirtschaftlichen Neustart erschweren.
Die Europäische Union habe bereits zahlreiche Initiativen verabschiedet, um Hilfsprogramme zu finanzieren und den Mitgliedstaaten schnelle und effektive Unterstützungsmaßnahmen zu erlauben. „Nun gehört ergänzend ein effektives Programm für den Re-Start ganz oben auf die Agenda.“
Für die Unternehmen hierzulande sei wichtig, dass Deutschland sich in Brüssel für gemeinsame Lösungen einsetze, betont der DIHK-Präsident. Schließlich wickelten die deutschen Unternehmen knapp 60 Prozent ihrer Warenexporte und -importe mit anderen Ländern der EU ab.
„Die wirtschaftliche Belebung nach der Corona-Krise kann daher nachhaltig nur gelingen, wenn auch die EU-Nachbarn wieder auf die Beine kommen“, stellt Schweitzer klar. „Dazu gehört auch, dass Deutschland sich für eine Einigung zur künftigen EU-Finanzierung bis Jahresende einsetzt.“
Denn: „Mit einem großen Teil der Gelder im EU-Haushalt werden sowohl kleine und mittelgroße Unternehmen als auch die Förderung von Forschung und Innovation unterstützt.“ Ohne Einigung bestehe die Gefahr, dass die EU im nächsten Jahr mit einer Notfinanzierung von Monat zu Monat operieren müsse, warnt Schweitzer. „Das wäre ein holpriger Start in das Jahr 2021, das hoffentlich das Jahr der Erholung nach der Corona-Krise wird.“
Insbesondere folgende Themen sollten nach Auffassung des DIHK bei der Planung des Präsidentschaftsprogramms Vorrang haben:
EU-Binnenmarkt schützen
Die EU ist für die deutsche Wirtschaft die wichtigste Handelsregion. Knapp 60 Prozent der deutschen Warenexporte und -importe gingen 2019 auf das Konto der anderen EU-Länder. Doch durch Grenzkontrollen und Reiseeinschränkungen seit Ausbrechen der Corona-Krise ist der Binnenmarkt in der Praxis stark beeinträchtigt. Um Wertschöpfungsketten aufrechtzuerhalten, sollte sich die deutsche Ratspräsidentschaft dafür einsetzen, dass der freie Verkehr aller Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräfte unter allen Umständen gewährleistet ist. Grenzkontrollen sollten verhältnismäßig, möglichst einheitlich und transparent sein, um die Wartezeiten an den Grenzen zu minimieren. Sobald kein gesundheitliches Risiko besteht, müssten Grenzkontrollen aufgehoben werden.
Liquidität für Unternehmen sichern
Durch den plötzlichen Ausfall von Kundenaufträgen und die nachfolgenden Produktionsrückgänge verzeichnen fast alle Unternehmen einen Mangel an flüssigen Mitteln, selbst dann, wenn ihre Finanzlage vor der Pandemie solide war. Die Sicherung der Liquidität muss daher oberstes Gebot sein, um die Betriebe durch die Krise führen zu können. Die Europäische Union hat bereits zahlreiche Initiativen verabschiedet, um Hilfsprogramme zu finanzieren und den Mitgliedstaaten schnelle und effektive Unterstützungsmaßnahmen zu erlauben. Nun muss dafür gesorgt werden, dass die Hilfe – auch neue Maßnahmen für die Recovery – auch schnell und verlässlich bei den Unternehmen ankommt und das Zugangsprozedere nicht zum Flaschenhals wird. Die deutsche Ratspräsidentschaft sollte auch neue, innovative Lösungen zur Bereitstellung von liquiden Mitteln vorantreiben – etwa einen EU-Garantierahmen für die Absicherung von Forderungskäufen. Unternehmen könnten so ihre Forderungen leichter veräußern und in Barmittel umwandeln.
Zukunftsgerichteten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) abschließen
Der aktuelle Finanzrahmen läuft Ende 2020 aus. Der neue muss Wegbereiter für die Recovery sein. Eine Einigung bis Jahresende ist unerlässlich, sonst besteht die Gefahr, dass die EU im nächsten Jahr mit einer Notfinanzierung von Monat zu Monat operieren muss – ohne langfristigen Planungshorizont. Das wäre ein holpriger Start in die Erholung der EU nach der Corona-Krise. Wir brauchen die Einigung zum neuen MFR bereits in diesem Sommer, um notwendige Rechtsgrundlagen und Förderprogramme bis Ende des Jahres schaffen zu können. Der MFR sollte in der aktuellen Situation auch gezielt genutzt werden, um die EU-Wirtschaft nach der Krise wieder anlaufen zu lassen. Mit dem Geld aus dem EU-Haushalt können beispielsweise über die Programme COSME und InvestEU kleine und mittelgroße Unternehmen unterstützt werden, über Horizon Europe auch Forschung und Innovation. Darüber hinaus fließen europäische Gelder in den Straßenbau, den Ausbau von Breitbandkabeln und in Energienetze. Dies sind alles Voraussetzungen für eine wettbewerbsfähige EU. Neben einer möglichst schnellen Einigung auf einen tragfähigen MFR sollte die Ratspräsidentschaft auch ein Front-loading vorantreiben, also ein Vorziehen von Projekten auf die ersten zwei bis drei Jahre des Siebenjahres-Zeitraums. Dies würde das Herauswachsen aus der Krise beschleunigen.
Europäischen Green-Deal zur Wachstumsstrategie machen
Der DIHK unterstützt eine ambitionierte europäische Klimaschutzpolitik. Um aus ihr zugleich eine Wachstumsstrategie zu machen, muss beim Green Deal der EU jedoch dringend nachjustiert werden. In den Fokus sollten Maßnahmen rücken, die nach dem wirtschaftlichen Einbruch in Folge der Pandemie die Wirtschaftskraft der Unternehmen wiederbeleben und die Grundlagen für ein ökonomisch und ökologisch nachhaltiges Wachstum legen. Konkret sollte die EU die Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen der Unternehmen in diesem Bereich viel stärker unterstützen. Auf zusätzliche finanzielle Belastungen für die Betriebe sollte die Ratspräsidentschaft hingegen verzichten. Dies gilt auch für die diskutierte Verschärfung des CO2-Reduktionsziels für das Jahr 2030. Solange Alternativen für kohlenstoffarme Produktion fehlen, würde eine solche Zielverschärfung für viele Betriebe zu signifikanten Kostensteigerungen und neuen bürokratischen Auflagen führen, die jetzt noch viel dringender als zuvor vermieden werden müssen.
Protektionismus entgegenwirken, Liberalisierungsimpulse setzen
Die globale Aufrechterhaltung der Wertschöpfungsketten und weitere Öffnung der Märkte ist für die hoch internationalisierten deutschen Unternehmen von großer Bedeutung. Unter dem deutschen Ratsvorsitz sollte die EU hier daher weltweiter Impulsgeber sein. International gilt es vor allem, den aufkommenden Protektionismus insbesondere in Form von Zöllen und Lokalisierungszwängen abzuweisen. Laut DIHK-Umfragen klagten bereits vor der Corona-Pandemie 50 Prozent der deutschen Betriebe im Ausland über Handelshemmnisse.
Das bereits fertig verhandelte EU-Mercosur Abkommen sollte vor Ende 2020 ratifiziert werden – das größte noch ausstehenden Abkommen auf voraussichtlich lange Zeit. Zudem sollte gerade der Welthandel mit Gesundheitsprodukten ohne Zölle und andere Hemmnisse gestaltet werden. Die Ausweitung des WTO-Pharma-Abkommens ist ein wichtiger Beitrag hierzu. Zentral ist zudem die Unterstützung des Mittelstandes bei der Umsetzung von Freihandelsabkommen, vereinfachte Zollregelungen sowie Einsatz für die Aufrechterhaltung der Welthandelsorganisation samt Streitschlichtungsmechanismus.
Zukünftige EU-UK Beziehungen vorantreiben
Nach dem Ende der Übergangsphase am 31. Dezember 2020 wird es im Handel mit Deutschlands fünftwichtigstem Exportmarkt zu umfassenden negativen Auswirkungen kommen, wenn es nicht gelingt, bis dahin ein umfassendes Abkommen auszuhandeln. Deshalb wird die entscheidende Phase der Verhandlungen in die Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft fallen. Für die Unternehmen ist es wichtig, den Binnenmarkt zu erhalten und Planungssicherheit in den Handelsbeziehungen mit einem level Playing field zu schaffen. Um dieses Ziel nicht zu gefährden, sollten beide Seiten im beiderseitigen Interesse die Übergangsfrist um zwei Jahre verlängern. Laut einer DIHK-Umfrage rechnen 58 Prozent der deutschen Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zu UK Brexit bedingt mit Rückgängen ihrer Geschäfte im Vereinigten Königreich.
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