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DIHK | EU-Medizinprodukte-Verordnung: Pragmatische Lösungen nötig


Medizinprodukte müssen sicher und verlässlich sein – dafür soll eine EU-Verordnung von 2017 sorgen, die seit Ende Mai 2021 anzuwenden ist. Diese „Medical Device Regulation“, kurz MDR, hat jahrzehntelang etablierte Vorgänge der Einführung und Bereitstellung von Medizinprodukten abgelöst. Auch wenn der neue Rechtsrahmen richtige und wichtige Ziele verfolgt: In der Praxis stellt er die Unternehmen vor große Herausforderungen. Auch der Bundesrat sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Umsetzung der MDR: Am 7. Oktober äußerte er in einem Beschluss die Bitte an die Bundesregierung, sich auf EU-Ebene für Erleichterungen bei versorgungsrelevanten Nischen- und Bestandsprodukten einzusetzen. Andernfalls könne die Versorgung mit sicheren Medizinprodukten in Gefahr geraten.

Für viele Medizinprodukte bedeutet die MDR das Aus 

Zahlreiche Medizinprodukte werden infolge der MDR schon jetzt vom Markt genommen, viele weitere werden bald verschwinden, so das Ergebnis einer DIHK-Unternehmensbefragung, in der sich 378 Betriebe zu den Auswirkungen der Verordnung äußern. Denn die Übergangsregelungen, die die MDR für Bestandsprodukte vorsieht, laufen am 26. Mai 2024 aus. Danach verlieren alle Altzertifikate ihre Gültigkeit. Von den Umfrageteilnehmern genannte Beispiele für Produkteinstellungen sind Nischenprodukte wie Baby-Stents oder Radiofrequenz-Perforationskatheter für verklebte Herzklappen bei Neugeborenen.
Außerdem ergeben sich negative Folgen für den Innovationsstandort Europa. So zeigt die Unternehmensbefragung auch: Fast jeder zweiter Betrieb (46 Prozent) hat Innovationsprojekte gestoppt. Ein Fünftel der Unternehmen (19 Prozent) weicht bei der Erstzulassung ihrer medizintechnischen Innovationen auf andere Märkte wie etwa die USA oder Asien aus.

Vielfältige Probleme

Zentrale Bedeutung im neuen System haben die staatlich autorisierten „Benannten Stellen“ der EU, die den Prozess der Konformitätsbewertung von Medizinprodukten kontrollieren. Diese Stellen haben mit der Neuregelung ihre vormals gültigen Autorisierungen verloren. Sie müssen ein komplexes und langwieriges Verfahren durchlaufen, um auch nach neuer Rechtslage tätig werden zu dürfen. In diesem Zusammenhang ist ihre Zahl EU-weit jedoch deutlich geschrumpft – und das, während gleichzeitig erheblich mehr Medizinprodukte auf eine Bewertung durch eine Benannte Stelle angewiesen sind als zuvor.
Neben diesem Engpass bei Produktprüfungen sind die Unternehmen mit deutlichen Kostensteigerungen konfrontiert, die insbesondere die Entwicklung und Vermarktung von Nischenprodukten oft unrentabel machen. Für die Überführung von Bestandsprodukten in die MDR fehlen zudem vielfach Ärzte für erforderliche klinische Prüfungen oder Negativ-Bescheide der Ethik-Kommission verhindern diese Schritte.

Dringender Anpassungsbedarf

Unternehmen brauchen jetzt pragmatische Maßnahmen, um die Probleme der neuen MDR-Regelung zu entschärfen. Dazu zählen Zertifikate unter Auflagen und die Anerkennung von Nachweisen aus früheren Zertifizierungen. Ferner braucht es für Nischenprodukte Sonderregelungen. Denn nur so lässt sich sicherstellen, dass Innovationen auch für kleine Absatzmärkte entwickelt werden und in der Versorgung zur Verfügung stehen.
Es ist daher ein richtiger Schritt, dass die Medical Device Coordination Group nun Vorschläge unterbreitet hat – diese müssen nun zügig, rechtssicher und verbindlich umgesetzt werden. Zudem sind dringend Lösungen gerade für Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen notwendig, die trotz großer Bemühungen noch immer keine Benannte Stelle gefunden haben. Parallel dazu bedarf es einer Überarbeitung der Übergangsbestimmungen, um allen Akteuren mehr Zeit zur Auflösung der bestehenden Engpässe zu verschaffen. Denkbar sind hier nach Risikoklassen gestaffelte Fristen. Notwendig wäre zudem die Abschaffung der befristeten Abverkaufsregelung, um das unnötige Vernichten bereits produzierter und als sicher geltende Medizinprodukte zu verhindern.

Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie entscheidend eine leistungsfähige Gesundheitswirtschaft ist. Daher sollte die Politik – erst recht nach der Aufforderung durch den Bundesrat – ihr Augenmerk dringend auf den Erhalt der Wettbewerbs- und Innovationskraft der Medizintechnik-Branche legen.

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