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Institutionen & Zukunftsdebatte

Repräsentative Umfrage: Deutsche wollen einen modernen EU-Haushalt

Klimaschutz, Bildung und Innovation priorisieren, traditionelle Ausgabenbereiche kürzen: So wünschen sich die Bundesbürgerinnen und -bürger die Verteilung europäischer Mittel auf die unterschiedlichen Politikbereiche. Das hat die Europäische Bewegung Deutschland e.V. (EBD) im Rahmen einer repräsentativen Befragung erheben lassen. Die Wünsche der Befragten weichen deutlich vom aktuellen EU-Haushalt ab. Aus Sicht der EBD bedeutet dies, dass die Bundesregierung auf dem Ende der Woche tagenden Europäischen Rat bei den Verhandlungen des nächsten langfristigen EU-Haushalts für den Zeitraum 2021-27 andere Prioritäten setzen sollte.

„So wird die EU nicht für die Zukunft fit gemacht

„Planung, Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei den Regierenden im Europäischen Rat weit auseinander. So wird die EU nicht für die Zukunft fit gemacht“, kommentiert EBD-Präsidentin Dr. Linn Selle. „Es macht den Europäischen Rat unglaubwürdig, wenn sich die inhaltlichen Prioritäten der von ihm beschlossenen ‚Strategischen Agenda‘ nicht bei der Ausgabenplanung im EU-Haushalt wiederfinden. Das Interesse an einer handlungsfähigen EU ist in Deutschland groß – das belegt zum Beispiel die hohe Wahlbeteiligung der Europawahl im Mai. Ich frage mich, wie die Bundesregierung den Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern erklären möchte, dass der Europäischen Union weniger Mittel für die europäischen Zukunftsausgaben zur Verfügung stehen.“

Mit der Umfrage will die EBD die politische Dimension des Haushaltes unterstreichen und einen Beitrag zur Erwartungshaltung an die Europapolitik leisten: Der EU-Haushalt muss frühzeitig, transparent und faktenbasiert in der Öffentlichkeit diskutiert und erkennbar an den gesamteuropäischen Prioritäten ausgerichtet werden, fordert der Verein in seinem auf der Mitgliederversammlung 2019 beschlossenen politischen Programm: Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU (MFR) „[…] muss stärker auf die politischen Anforderungen des nächsten Jahrzehnts ausgerichtet und seine Finanzkraft gestärkt werden. Zudem muss die Mittelvergabe in einer MFR-Periode weiter flexibilisiert werden. Der MFR muss stärker als bisher an die weltpolitische Lage, eine nachhaltige Entwicklung und die soziale Lage in Europa angepasst werden. Wir fordern daher im Hinblick auf diese Prioritäten eine erkennbare Überprüfung der bestehenden Ausgaben.“ 

Die Ergebnisse im Einzelnen:

Auf acht Ausgabenbereiche konnten die Befragten ein fiktives Budget von 100 Euro verteilen. Den größten Anteil – 17,5 Prozent – sprachen die Befragten durchschnittlich dem Bereich Bildung, Forschung und Innovation zu. Im EU-Haushalt 2019 ist dafür knapp die Hälfte der Mittel (9 Prozent) vorgesehen. 16,5 Prozent der EU-Mittel sollen gemäß der Umfrage der Klima- und Umweltpolitik zugute kommen (aktuell sind es 1 Prozent). Für EU-Außengrenzschutz, innere Sicherheit und Terrorismusbekämpfung wünschen sich die Befragten durchschnittlich 15,5 Prozent der Ausgaben – auch hierfür wird im aktuellen Haushalt der EU deutlich weniger verwendet (1 Prozent). Die aktuell größten Anteile im EU-Haushalt – Agrar- und Kohäsionspolitik (mit je 36 bzw. 35 Prozent) – sollen nach dem Wunsch der Befragten auf 10,6 Prozent (für die Förderung strukturschwacher Regionen) bzw. 9,6 Prozent (für die Landwirtschaft) schrumpfen. Nur bei den Verwaltungsausgaben (6 Prozent) liegen Umfrageergebnis und EU-Haushalt nahe beieinander.

Die verwendeten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage der YouGov Deutschland GmbH, an der 2042 Personen zwischen dem 27.11.2019 und 29.11.2019 teilnahmen. Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Die Fragestellung lautete: „Sie sehen hier acht einzelne Ausgabenbereiche. Angenommen, Sie könnten über die Verwendung der Mittel des EU-Haushalts persönlich entscheiden, wie würden Sie diese Mittel auf die acht Bereiche verteilen? Nehmen Sie dazu einfach an, der EU-Haushalt wäre insgesamt 100 Euro groß, so dass Sie 100 Euro auf die acht Ausgabenbereiche verteilen können.“ Die Vergleichszahlen zum aktuellen EU-Haushalt beziehen sich auf die Verpflichtungsermächtigungen (das heißt die für Projekte und Programme bewilligten Mittel) für die einzelnen Sektoren und sind vereinfacht dargestellt. Die Kategorie „Klima-/Umweltpolitik“ enthält nur die Zahlen zum LIFE-Programm, nicht Ausgaben für klimabezogene Projekte in anderen sektoralen Ausgabeprogrammen. Projekte und Maßnahmen, die außerhalb des EU-Haushalts finanziert werden (etwa der Europäischen Entwicklungsfonds oder die Ausgaben aus dem Abkommen mit der Türkei zum Umgang mit Geflüchteten aus Syrien) wurden nicht berücksichtigt.

Hintergrund:

Der Europäische Rat wird morgen (12. Dezember) den langfristigen EU-Haushalt (Mehrjähriger Finanzrahmen 2021-27) diskutierten. Grundlage für die Beratungen ist eine Verhandlungsbox mit Zahlen, die der finnische EU-Ratsvorsitz aufgrund eines Ersuchens der Staats- und Regierungschefs vom Oktober ausgearbeitet hat. Erwartet werden für 2020 schwierige Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, die sich bis in die Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ziehen dürften. Der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel muss im nächsten Semester für Einstimmigkeit sorgen. Danach geht die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament. 

Der Europäische Rat hat 2019 in Hermannstadt in seiner „Strategischen Agenda“ die politischen Schwerpunkte der nächsten Jahre umrissen, um die EU fit für die Zukunft zu machen: „Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der Freiheiten, Entwicklung unserer wirtschaftlichen Basis: das europäische Zukunftsmodell, Verwirklichung einer grüneren, faireren und inklusiveren Zukunft, Förderung der Interessen und Werte Europas in der Welt.“

Die finnische EU-Ratspräsidentschaft hat in ihrer jüngsten „Verhandlungsbox EU-Haushalt“ vorgesehen: 

  • Stärkung der Mittel im Agrarbereich
  • Größere Kürzungen im Kohäsionsfondsbereich 
  • Stärkste Kürzungen im Bereich „sonstige Politik“