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Europakommunikation, Partizipation & Zivilgesellschaft

Eine engagement- und demokratiepolitische Bilanz | EU-in-BRIEF von Dr. Ansgar Klein zum Stakeholder-Forum

Am 5. Juli 2018 veranstaltete die Europäische Bewegung Deutschland gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt das Stakeholder-Forum Europakommunikation. An über 20 Tischen diskutierten etwa 200 Menschen in kleinen Gruppen angeregt und engagiert über Europa. Die  Veranstaltung wurde von zahlreichen Mitgliedsorganisatio-nen der EBD mitgestaltet, darunter auch das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engament (BBE), mit dem die EBD durch eine gegenseitige Mitgliedschaft eine besondere Partnerschaft pflegt. 

Dr. Ansgar Klein, Geschäftsführer des BBE, zieht in seinem EU-in-BRIEF eine engagement- und demokratiepolitische Bilanz der Veranstaltung. 

Der von der Europäischen Bewegung Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt organisierte Stakeholder-Dialog zur Europapolitik am 5. Juli 2018 in Berlin bot die Möglichkeit, aus der Vielzahl zivilgesellschaftlicher Ansatzpunkte wichtige Handlungsimpulse für die europäische Politik zu formulieren. Dabei stand natürlich auch die Europawahl 2019 vor Augen, die als richtungsweisend und bedeutend für die zukünftigen Weichenstellungen Europas gelten muss. Daher kommt es wesentlich darauf an, die Handlungsbedarfe der Zivilgesellschaft und die Werte Europas zu verbinden.

Dieses Stakeholder-Forum findet statt im Kontext der europäischen Bürgerdialoge, die derzeit auf Initiative des französischen Präsidenten Macron in allen EU-Mitgliedstaaten organisiert werden und die Stimmen der europäischen Bürgerinnen und Bürger in die europäische Reformdebatte einbringen sollen. Es ist positiv hervorzuheben, dass das Auswärtige Amt in diesem Prozess auch die organisierte Zivilgesellschaft – Netzwerke, Verbände und Vereine –beteiligt. Dabei ist die Berücksichtigung von Qualitätsstandards derartiger Beteiligungsprozesse – wie u.a. von der EBD formuliert –insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit den Ergebnissen eine wichtige Bedingung für nachhaltige Effekte.

Die Ergebnisse des Stakeholder-Forums stehen im Zusammenhang der zivilgesellschaftlichen Bemühungen in Europa, eine gemeinsame Agenda der Zivilgesellschaft für die kommende Europawahl zu formulieren. Themen wie die wachsenden Schwierigkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure angesichts von Einschränkungen kritischer Öffentlichkeit oder der Justiz und insbesondere von zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation („shrinking spaces“) sind hier ebenso anzusprechen wie die ungeklärte europäische Flüchtlingspolitik oder auch die Mindeststandards sozialer Absicherung in den Mitgliedsländern der EU und die notwendigen Förderprogramme für die Zivilgesellschaft. Zugleich gilt es sich mit den rechtspopulistischen und nationalistischen Entwicklungen aktiv innerhalb der Zivilgesellschaft auseinanderzusetzen.

Ergebnisse des Stakeholder-Forums

Diskutiert wurde zu 5 Themenkreisen – berichtet werden hier zentrale Ergebnisse aus der eigenen Wahrnehmung:

Jugend- und Bildungspolitik:

Europaweit gilt es die erfahrungs- und handlungsbezogenen Prozesse des Lernens in den vielfältigen Praxisfeldern des Engagements und die informellen und non-formalen Lernprozesse dort für die Jugend- und Bildungspolitik fruchtbar zu machen – auch für die Civic Education. Das Zusammenwirken von Akteuren und Institutionen der formalen Bildung mit denen des formalen und informellen Lernens in „lokalen Bildungslandschaften“ gilt es systematisch zu fördern. Zudem sollte die Mobilität Jugendlicher in Europa – etwa durch günstige Monatstickets für die Bahn – für europäische Erfahrungen und Kontakte gestärkt werden. Auch das Wahlalter für die Europawahl ab 16 Jahren wurde angeregt

Wirtschaftliche und soziale Konvergenz:

Eine wachsende soziale Ungleichheit in den Ländern Europas wie auch zwischen ihnen gefährdet den europäischen Zusammenhalt. Die Wertegemeinschaft Europas müsse sich daher verstärkt auch in der Sozialpolitik wie auch der Wirtschafts- und Handelspolitik oder auch der Agrarpolitik zeigen.

Die europäische Bürgerschaft und der Zusammenhalt in Europa erfordern eine deutlich stärkere Dimension und Praxis sozialer Bürgerrechte und sozialpolitischer Mindeststandards in der EU sowie ein geteiltes Verständnis über die zentralen öffentlichen Güter, die es über eine an der „öffentlichen Daseinsvorsorge“ orientierte Politik – insbesondere kommunal – umzusetzen gilt.

Regionalistische und föderale Strukturen müssen gestärkt werden, ohne den Zusammenhalt der Nationalstaaten zu unterminieren.

Aus zivilgesellschaftlicher Sicht muss auch die Dimension der Gemeinnützigkeit im europäischen Recht und der staatlichen Förderpraxis gestärkt werden: Europa ist mehr als eine Wirtschaftsunion!

Nachhaltigkeit des Umwelt- und Verbraucherschutzes:

Die Bekämpfung des Klimawandels und die Ziele der Nachhaltigkeit gehören ins Zentrum der europäischen Politik. Insbesondere in den Kommunen gilt es hier praktisch wirksam zu werden. Gerade in den „Lokalen Bildungslandschaften“ können Schulen und Hochschulen mit der organisierten Zivilgesellschaft enger kooperieren. Dort gilt es die inhaltlichen Zusammenhänge und Wechselwirkungen von Wirtschaft und Umwelt anschaulich nachvollziehbar zu machen und auch die erforderlichen Veränderungen voranzubringen. Wissensverschränkung, Vernetzung und Kooperation bei den Themen von Umwelt und Nachhaltigkeit gilt es voranzubringen. Auch hier gilt es, solche Kooperationen mit Konzepten von öffentlichen Gütern und öffentlicher Daseinsvorsorge zu verbinden wie auch Kooperationen zwischen Staat/Kommunen, Unternehmen und Zivilgesellschaft fortzuentwickeln.

Demokratie und Bürgerengagement:

Die Fortentwicklung des strukturierten Dialogs zwischen den Institutionen der EU und der Zivilgesellschaft ist notwendig; Art. 11 EUV sollte dafür Grundlage sein und benötigt eine verbindliche, transparente Umsetzung. Bei der Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Interessen und Konsultationsverfahren (auch Bürgerdialogen) sollten deliberative Standards, das Zufallsprinzip bei der Auswahl der Bürgerinnen und Bürger wie auch die regionale Repräsentativität sowie die anerkannten methodischen Standards der auf Partizipation und Transparenz orientierten Moderation fortentwickelt werden. Über die Ergebnisverwendung muss vor ab Klarheit bestehen.

Die „shrinking spaces“ in Mitgliedsländern der EU, die Einschränkung kritischer Öffentlichkeit und NGOs, von Justiz und freier Forschung sind nur einige Schlagworte, um die Dramatik der Situation vor der Europawahl 2019 auch für die Zivilgesellschaft klar zu machen – und sicher ist, dass auch innerhalb der nationalen Zivilgesellschaften die Kontroversen zunehmen. Es wird darum gehen, die zivilgesellschaftlichen Handlungsräume auch gegen autoritäre Staatlichkeit zu verteidigen. Die Förderprogramme der EU müssen sich orientieren am Ziel einer Stärkung der Werte Europas wie auch einer daran orientierten Zivilgesellschaft in Europa.

Civic Education muss die Erfahrungs- und Handlungsbezüge des Engagements aufgreifen und auch Haltungen und Werte Europas praktisch nachvollziehbar machen.

Europas Werte und Grenzen:

Die Rolle der Europäischen Menschenrechts-Charta scheint zunehmend unklar – das macht auch das bisherige Scheitern einer europäischen Flüchtlingspolitik im Geiste der Solidarität und Menschenrechte deutlich. Umso notwendiger erscheint es, von einem europäischen Vertrag zu einer auf gemeinsame Grundwerte bezogenen europäischen Verfassung weiter zu kommen. Gemeinsame Grundrechte europäischer Bürgerschaft, klare Regeln der Beteiligung und Transparenz und Förderprogramme mit klaren Bezug auf die Wertegrundlagen Europas führen hier weiter. Zudem sollte eine kritische europäische Öffentlichkeit gestärkt und Handlungsräume einer offenen Gesellschaft in der EU geschützt und verteidigt werden.

Ausblick

Das Stakeholder-Forum hat auf beeindruckende Weise die Vielfalt und den Reichtum der Ideen und des Engagements der deutschen Zivilgesellschaft für das kriselnde europäische Projekt deutlich gemacht. Es wäre wünschenswert, dass der begonnene Austausch der deutschen Europapolitik mit BürgerInnen und der organisierten Zivilgesellschaft nicht mit Abschluss dieser Bürgerdialogreihe im Herbst dieses Jahres endet, sondern in strukturierter Form fortgeführt wird. Insbesondere das Format des Stakeholder-Forums bietet dafür einen vielversprechenden Rahmen.

Die Europawahl im Mai 2019 ist für alle beteiligten Akteure einen wichtiger Fokus ihres pro-europäischen Engagements. Es wird wichtig sein, die unterschiedlichen Kampagnen, Initiativen und Veranstaltungen stärker zu vernetzen und in Austausch zu bringen – die Idee einer virtuellen „Landkarte“ pro-europäischer Projekte in Deutschland ist zu begrüßen.
Auch sollte unser Engagement in Deutschland stärker in Bezug und in Austausch mit anderen europäischen Ländern treten. Im März 2019 wird vor diesem Hintergrund ein europäischer Kongress der Zivilgesellschaft in Berlin stattfinden, den das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) gemeinsam mit seinen europäischen Netzwerkpartnern organisiert. Ziel ist die Erarbeitung einer europäischen Agenda der Zivilgesellschaft für die Europawahl.

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Dokumentation Stakeholder-Forum: