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Europakommunikation, Institutionen & Zukunftsdebatte, Partizipation & Zivilgesellschaft

Eine Politik im Schatten schafft Misstrauen | EBD-Generalsekretär im Interview mit der Berliner Stimme

In einem Interview mit der Zeitung der Berliner Sozialdemokraten „Berliner Stimme“ spricht EBD-Generalsekretär Bernd Hüttemann über Populismus, den Dialog mit der organisierten Zivilgesellschaft und darüber, wie sich Europapolitik politisch und medial vermitteln lässt.

Herr Hüttemann, laut aktueller Eurobarometer-Umfrage ist die EU ein Jahr vor den Europawahlen so beliebt wie seit 1983 nicht mehr. Doch trotz wachsender pro-europäischer Kräfte erzielen populistische und antieuropäische Parteien in den Nationalstaaten Wahlerfolge. Über den Wahlausgang in Italien zeigen sich Beobachter sehr besorgt. Sie sehen das Wahlergebnis als schlechtes Signal für die Europawahlen 2019. Ist diese Sorge berechtigt?

Unbedingt. Zumindest hat die Regierungsbildung zwischen der Fünf-SterneBewegung und der Lega Nord verhindert, dass mit einer technokratischen, europafreundlichen Regierung die Populisten bei einer Neuwahl im Herbst noch mehr hinzugewonnen hätten. Ich gebe den Populismus-Forschern recht, die konstatieren: Eine technokratische Europapolitik erhöhe die Sorgen der Menschen, weil sie sich nicht mehr eingebunden fühlen.

Nicht nur in Italien, auch in Deutschland erhielten populistische und EU-kritische Bewegungen Zulauf. Woran liegt das?

Parteien, die zu einer Wahl antreten, kämpfen zunächst einmal für sich selbst. Insofern zeichnen sie das jeweilige gegnerische Lager in besonders schwarzen Farben. Politikwissenschaftler, die seit den 20er Jahren alle demokratischen Wahlen analysiert haben, kamen zu dem Ergebnis, dass sich die politische Grundausrichtung der Menschen – ob links, rechts, progressiv oder konservativ – gar nicht großartig verändert hat. Es ist ganz einfach so, dass etablierte Parteien scheitern, sich teilen, verschwinden oder neu ausrichten. Auch das derzeitige italienische Geschehen ist Ausdruck der Implosion der Parteienlandschaft, die schon Ende der 80er Jahre begann.

Das heißt, die derzeitige Vertrauens- und Demokratie-Krise ist vor allem eine Parteienkrise ...

Viele die jetzt sagen, es liegt an Europa und ist ein Problem der europäischen Situation oder des Euro, die verdecken wissentlich oder unbewusst, dass wir uns in einer grundsätzlichen Krise der parlamentarischen Demokratie in den Nationalstaaten befinden. Wobei ganz klar gesagt werden muss, dass Europa diesen Vertrauensverlust bisher nicht ausgleichen konnte.

Den Medien wird oft vorgeworfen, ihren Teil zu einer europapolitischen Polarisierung beizutragen. Sehen Sie das ähnlich?

Ein bezeichnender Fall, bei dem man sogar von einer „Mediokratie“ sprechen kann, ist Großbritannien. Dort treiben
seit vielen Jahren wenige große Medienkonzerne in den Händen weniger Männer die Politik vor sich her. Lange blieb das ohne schlimme Folgen – bis zum Brexit. Wenn Politiker getrieben werden, dann machen sie Fehler oder sie geraten in die Versuchung, Probleme zu lösen, die es gar nicht gibt – so wie beim Brexit. Cameron verhielt sich wie Frank Underwood in der Politserie „House of Cards“ und versuchte, sich über eine Medienkampagne den Rücken zu stärken. Er wurde dann die Geister nicht mehr los, die er gerufen hatte.

Gelingt es den Medien, die EU in ihrer Komplexität angemessen darzustellen?

Zumindest in Deutschland wird die europäische Integration endlich wahrgenommen und wertgeschätzt. Durch die Krisen hat sich viel getan. Auf der anderen Seite berichten deutsche Medien nur dann über Europapolitik, wenn es Probleme gibt. Medien bilden viele Brüsseler und nationale Gesetzinitiativen, die ursprünglich aus Brüssel kommen, nicht ausreichend ab. Die Lobbygruppen aller gesellschaftlichen Gruppen machen es da besser. Dieser unterschiedliche Blick auf die EU-Politik zwischen der sogenannten vierten und fünften Gewalt ist ein größeres Defizit als ein angeblich schwaches EU-Parlament.

Es gibt ja immer wieder die Kritik, dass es keine richtige europäische Öffentlichkeit gibt.

Das ist ein wichtiger Punkt. Ich habe den Eindruck, dass einige Auslandskorrespondenten, Grundkurse in Europapolitik belegen sollten. Wie sollen sie nationale Politik ohne europäische Innenpolitik richtig bewerten können, wenn Sie uns aus anderen Ländern berichten? Was spricht dagegen, die ausgehöhlte Europäische Rundfunkunion in eine gut funktionierende europäische ARD umzuwandeln? Ein öffentlich-rechtlicher europäischer Rundfunk könnte pluralistisch aufgebaut werden. Er wäre natürlich immer noch ein Nischenangebot, aber durchaus machbar. Allerdings sehe im Moment keinen Willen bei nationalen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, dies umzusetzen. Auch sie sind eine
Lobby gegen den Wandel.

Mit den Europäischen Bürgerdialogen setzt die Europäische Kommission nun ein eigenes Instrument ein, um Europakommunikation zu verbessern und Wahlbegeisterung zu stärken. Wie müssten die Bürgerdialoge gestaltet sein, um wirklich erfolgreich zu sein?

Die Bürgerdialoge sind sicherlich ein gut gemeinter Versuch. Die Idee dahinter wurde in einer Zeit geboren, in der
Macron in Frankreich seine „En Marche“- Bewegung mit Hilfe von „Bürgerkonventen“ zum Erfolg führte. Die Frage ist, ob die europäischen Bürgerdialoge so strukturiert sind, dass man aus ihnen auch einen Mehrwert ziehen kann. Erfolgreich wären die Dialoge, wenn Politikerinnen und Politiker in einem zufällig ausgewählten Forum in erster Linie zuhören. Die Erkenntnisse müssten im Nachgang wissenschaftlich ausgewertet werden. Ich glaube jedoch, dass der Wettbewerb der Ideen in einem echten Europawahlkampf und leider auch die Angst vor einem Zusammenbrechen der EU mehr bewirken als halbherzig durchgeführte Bürgerdialoge.

Wie stellt man ein öffentliches europäisches Interesse her?

Nur über die tatsächliche Auseinandersetzung mit europapolitischen Themen, die die Menschen wirklich betreffen.
Es müssen Zusammenhänge dargestellt werden: Wer steckt hinter welcher Idee? Wem nutzt es? Wer nimmt Schaden? Ein gutes Beispiel ist die EU-Datenschutzgrundverordnung, die derzeit in aller Munde ist. Nur wenige Medien nennen die DSGVO ein „EU-Gesetz“, was es de facto ist. Dass die europäische Gesetzgebung so nicht genannt wird, ist Teil des Problems. Eine Politik im Schatten schafft Misstrauen.

Bernd Hüttemann, Foto: Katrin Neuhauser.

Bernd Hüttemann begann seine europapolitische Karriere als Schüler bei den Jungen Europäischen Föderalisten (JEF). Er studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Europarecht an der Universität Bonn und ist Lehrbeauftragter für Lobbyismus und Public Diplomacy an der Universität Passau sowie der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Er ist zudem Vizepräsident der Europäischen Bewegung International (EMI) und berät die Europäische Bischofskonferenz in europapolitischen Fragen.

Lesen Sie die E-Paper-Ausgabe der Berliner Stimme vom Mai 2018 hier.