Erholungsfahrplan als Leitlinie für die deutsche Ratspräsidentschaft | Digitales EBD De-Briefing Europäischer Rat
„Nach den vielen nationalen Alleingängen der vergangenen Wochen zeigen die Ergebnisse der Ratssitzung eine Rückkehr zum Pfad der europäischen Solidarität“, fasste die Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD) Dr. Linn Selle die Ergebnisse des Europäischen Rates vom 27. April 2020 beim EBD De-Briefing zusammen. Mit über 100 Teilnehmenden aus ganz Deutschland und der EU-Hauptstadt Brüssel diskutierten der Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt Andreas Peschke und die Leiterin der Abteilung für Europapolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) Dr. Kirsten Scholl im digitalen EBD De-Briefing die Reaktion der EU auf den COVID-19-Ausbruch. Die Diskussion eröffneten der Vertreter der Europäischen Kommission Dr. Jörg Wojahn und die EBD-Präsidentin.
Im Fokus des De-Briefings standen neben der Evaluierung des von EU-Ratspräsident Charles Michel vorgelegten Fahrplans zur Erholung (Recovery Roadmap) und der Ausgestaltung der Hilfe- und Wiederaufbaumaßnahmen vor allem die Remobilisierung des Binnenmarktes und die Auswirkungen der Corona-Krise auf die kommende deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Die europäische Koordinierung von Schutzmaßnahmen habe zu Beginn des Corona-Ausbruchs zu wünschen übrig gelassen – nun stünde die europäische Zusammenarbeit wieder im Fokus, so das übereinstimmende Credo der Panelisten.
Bereits ab dem 1. Juni sollen die Finanzhilfen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Unternehmen und Staaten aus dem umfangreichen europäischen Hilfspaket fließen, das die Euro-Finanzministerinnen und -minister dem Europäischen Rat vorgelegt hatten. Positiv bewertet wurde beim De-Briefing auch die Einigung auf einen zusätzlichen Wiederaufbaufonds und dessen Verknüpfung mit dem nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR). Bis Mitte Mai soll der überarbeitete MFR-Vorschlag inklusive genauer Bedarfsanalyse von der Europäischen Kommission vorgelegt werden. Dies sei ambitioniert aber realisierbar, so die Einschätzung der Bundesregierung. Ausgestaltung und Volumen des Wiederaufbaufonds wurden breit diskutiert. Es brauche sowohl eine geographische als auch eine sektorale Analyse, um ein möglichst objektives Bild zu ermitteln und jedem individuellen Sektor die richtigen Instrumente zur Verfügung zu stellen. Vor allem der Tourismussektor habe durch die Krise große Beeinträchtigungen erfahren und könne durch den Fonds wieder stabilisiert werden. Um diese Kosten zu decken, solle die Eigenmittelobergrenze des MFR für zwei bis drei Jahre von nun 1,2% auf rund 2% des Bruttonationaleinkommens (BNE) angehoben werden. Sobald der Kommissionsvorschlag vorliegt, soll dieser im Rat abgestimmt werden. Selle begrüßte, dass mit einer Integration des Fonds in den MFR die Mitbestimmung des Europäischen Parlaments an der Mittelvergabe ermöglicht werde. Gleichzeitig kritisierte sie, dass der Europäische Rat kaum konkrete Vorgaben zur Ausgestaltung des Fonds gemacht habe. Hier sei die „heiße Kartoffel“ einfach zurück an die Europäische Kommission gespielt worden.
Hinsichtlich des Erholungsfahrplans liege der Fokus auf der Stabilisierung des Binnenmarktes. Besonders betroffene Mitgliedstaaten wie etwa Italien sollten aus der Krise nicht wirtschaftlich geschwächter hervorgehen. Zudem strebe man die Verknüpfung des Fahrplans mit nachhaltigen und rechtstaatskonformen Vorgaben an die Mitgliedstaaten an. „Es macht keinen Sinn, den Wiederaufbau auf alten Wegen zu gehen“, so Wojahn. Ein ähnliches Leitmotiv gelte nun auch für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, denn durch die Corona-Pandemie seien viele zuvor festgelegte Prioritäten verdrängt worden. Mit dem Fahrplan für die Erholung als Leitlinie werde man in der Präsidentschaft neue Akzente setzen, um die strategische Autonomie Europas zu stärken.
Nicht in Vergessenheit geraten sei die Konferenz zur Zukunft Europas, die ursprünglich am 9. Mai hätte starten sollen. Der Bundesregierung sei die Umsetzung der Konferenz ein wichtiges Anliegen, deren Bedeutung durch die Pandemie noch gestiegen sei. So biete die Konferenz die Möglichkeit, Lehren über mangelhafte Prozesse und Koordination innerhalb der EU zu ziehen.