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EU-Erweiterung, Außen- & Sicherheitspolitik

FES | Die iranische Chance für Europa

Am Ende war das Ergebnis deutlicher, als die Anhänger des Amtsinhabers zu hoffen gewagt hatten: Mit 23,5 Millionen oder rund 57 Prozent der abgegebenen gut 41 Millionen Stimmen setzte sich Präsident Hassan Rohani bereits in der ersten Runde gegen seine Herausforderer durch. Damit kann er seine „Politik des Ausgleichs“, mit der er 2013 angetreten war und deren größten Erfolg bislang das Atomabkommen von 2015 darstellt, fortsetzen. Angesichts der von der neuen US-Regierung ausgehenden Unsicherheiten kommt der Europäischen Union nun größte Bedeutung zu. Tatsächlich kann sich diese durch entschlossenes außenpolitisches Handeln in einer Frage von weltpolitischer Bedeutung emanzipieren.

Der kurze, aber heftige Wahlkampf im Iran hat einmal mehr gezeigt, dass trotz engster politischer Beschränkungen eine lebhafte politische Debatte in der Islamischen Republik möglich ist. Konservative und Moderate brachten sich offensiv in Stellung; Erstere warfen der Regierung Inkompetenz vor und Letztere bezichtigten die Hardliner, das Land in die Jahre der Entbehrung und Unfreiheit zurückführen zu wollen. Der vom Obersten Führer, Ali Khamenei, kontrollierte Wächterrat hatte nur sechs (männliche) von über 1600 Bewerberinnen und Bewerbern zur Wahl zugelassen.

Nachdem beide Seiten einen ihrer Strohmänner kurz vor dem Urnengang zurückgezogen hatten, entwickelte sich bereits der erste Wahlgang zu einem Duell zwischen zwei Klerikern: Amtsinhaber Rohani stand Ebrahim Raisi gegenüber, dem erzkonservativen Verwalter des Imam-Reza-Schreins in Maschhad, Irans zweitgrößter und religiös bedeutender Stadt. Dieser bis vor einem Jahr weitgehend unbekannte ehemalige Generalstaatsanwalt gilt als Vertrauter Khameneis und möglicher Kandidat für dessen Nachfolge.

Mit einer Wahlbeteiligung von 73 Prozent – vergleichbar einer Bundestagswahl, aber angesichts der undemokratischen, unfreien Umstände im Land beachtlich – ist das Ergebnis auch ein Sieg für das System und damit eine innenpolitische Stabilisierung. Zwar ist der Stimmenzuwachs für Präsident Rohani von fast fünf Millionen gegenüber der Wahl 2013 eine beachtliche Bestätigung seines moderaten Kurses; gleichzeitig wird er aber auch in seiner zweiten Amtszeit nur innerhalb der vom Obersten Führer und den ihn stützenden nicht-gewählten Institutionen aufgezeigten Grenzen handeln können.

Für die Europäer und die internationale Gemeinschaft steht das Ergebnis für außenpolitische Kontinuität, war die Wahl doch faktisch eine Abstimmung über Irans weitere Einhaltung des Atomdeals (Joint Comprehensive Plan of Action, kurz: JCPOA). Entsprechend gratulierte die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, kurz nach Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses per Twitter zu Rohanis „starkem Mandat“ und umriss die Aufgabe der Europäer in weniger als 160 Zeichen: Die EU stehe bereit, „gemeinsam an der umfassenden Umsetzung des JCPOA, bilateralem Engagement sowie Frieden in der Region zu arbeiten und die Erwartungen aller Menschen in Iran zu erfüllen“ (@FedericaMog).

Der letzte Punkt spricht den Hauptkritikpunkt der Gegner des Präsidenten direkt an: Er habe es versäumt, die mit dem Deal versprochene wirtschaftliche Erholung zu den Menschen im Land zu bringen. Zwar ist die iranische Wirtschaft im vergangenen Jahr um fast fünf Prozent gewachsen, während die Regierung die Inflation von über 40 Prozent zu Beginn auf unter zehn Prozent zum Ende ihrer Amtszeit senken konnte. Doch kommt zum einen der Aufschwung nicht bei der Bevölkerung an, zum anderen ist der gesellschaftliche Diskurs vom Ausbleiben europäischer Investoren aufgrund teilweise fortbestehender US-Sanktionen dominiert.

Wichtigste Aufgabe der Europäer zur vollständigen Umsetzung des JCPOA – Mogherinis erster Punkt – ist es also, ihren Teil dazu beizutragen, dass Unternehmen im Rahmen des Abkommens sowie ihrer wirtschaftlichen Interessen den Handel und die Investitionen mit dem Iran ausweiten können. Da Zugeständnisse Washingtons in dieser Hinsicht nicht zu erwarten sind, muss die EU selbst aktiv werden, beispielsweise über das Bereitstellen von Finanzierungs- und Zahlungskanälen oder Bestätigungen einer ausreichenden Unternehmensprüfung, dass die iranischen Geschäftspartner nicht von bestehenden Sanktionen betroffen sind (due diligence).

Der zweite Punkt – das Ausweiten der europäisch-iranischen Beziehungen – entspricht nicht nur der inhärenten Logik europäischer Außenpolitik, die auf breitgefächerten, gemeinsam festgelegten Kooperationen mit Drittstaaten aufbaut. Er ist dezidiert auch dazu gedacht, die Verengung auf die Nuklearfrage in den zwölf Jahren bis zum Abschluss des JCPOA zu überwinden. Das Abkommen ist dabei einerseits Ausgangspunkt für eine solche Zusammenarbeit, andererseits hängt sein Fortbestehen auch davon ob, ob es zu einem solchen Ausbau der Beziehungen kommt. Denn das wohlmeinende Einhalten der Verpflichtungen aus dem Atomdeal allein schützt nicht vor den Gefahren, welche ein Fortbestand der politischen Feindseligkeiten für die Zusammenarbeit in der Nuklearfrage bedeutet.

In beiden Punkten sind Friktionen mit Washington programmiert, wo die gegenwärtige unternehmerische Unsicherheit durchaus begrüßt wird. Denn sowohl für die Regierung als auch den Kongress ist wirtschaftlicher Austausch mit dem Iran gleichbedeutend mit einer Stärkung des dortigen Regimes. Deshalb ist für die Amerikaner auch eine Ausweitung der Zusammenarbeit mit Teheran nur äußerst begrenzt – beispielsweise mit Blick auf die Bekämpfung des selbst erklärten „Islamischen Staates“ (IS) im Irak – denkbar. Vielmehr planen Abgeordnete beider Parteien, den Iran mit neuen Sanktionen für sein Raketenprogramm oder seine Aktivitäten in Syrien und im Jemen in die Knie zu zwingen.

Hierauf zielt der dritte und zweifelsohne ambitionierteste Punkt des Mogherini-Tweets: Frieden in der Region zu schaffen. Nicht nur Israel, auch die arabischen Anrainer des Persischen Golfs sehen sich von der Unterstützung schiitischer Milizen durch Teheran, von Libanon und Syrien über Irak bis nach Jemen, bedroht. Für sie liegt der Fehler des JCPOA nicht in der zeitlich befristeten Beschränkung des iranischen Nuklearprogramms, die sie ja tatsächlich unterstützen, sondern in der regionalpolitischen Aufwertung, die Teheran nach den erfolgreichen Verhandlungen bei der Obama-Administration genoss. Aus arabisch-israelischer Sicht stellt der Besuch von Präsident Trump in Riad und Jerusalem, den ersten beiden Stationen seiner ersten Auslandsreise, nicht nur symbolisch eine wichtige Rückkehr zu alten Konfliktlinien dar.

Für die EU und ihre Mitgliedstaaten zeichnet sich damit eine formidable außenpolitische Herausforderunaußenpolitig ab, die bislang in der Öffentlichkeit nicht genügend Beachtung findet. Zwar ermöglicht die Wiederwahl Rohanis eine Fortsetzung der europäisch-iranischen Annäherung, sofern sich der Iran auch weiterhin penibel an seine Verpflichtungen aus dem JCPOA hält. Doch dürften die Spannungen mit der US-Regierung weiter zunehmen, die zwar ihrerseits den Deal nicht brechen will, aber wenig Skrupel hat, ihn durch harsche nicht-nukleare Maßnahmen sowie rhetorische Provokationen, die letztlich Teheran zu einem Bruch des Abkommens verleiten sollen, zu gefährden. Dass im Iran die Gegner des Abkommens die nicht-gewählten Institutionen rund um den Obersten Führer beherrschen und ihrerseits mit Menschenrechtsverletzungen und Raketentests die Weltöffentlichkeit provozieren, macht eine unkontrollierte Eskalation wahrscheinlich.

Allein diese Zuspitzung zu verhindern, fordert von der EU kontinuierliches Erwartungsmanagement. Darüber hinaus einen weiteren Ausbau der bilateralen Beziehungen auch gegen amerikanische und andere Widerstände durchzusetzen, braucht Mut und Weitblick. Mit der Aufnahme der Nuklearverhandlungen mit dem Iran 2003 bewiesen die Europäer beides. Wie damals gibt es heute außer der EU niemanden, der einen kooperativ-selbstbewussten Ansatz gegenüber dem Iran umsetzen könnte. Wenn die EU und ihre Mitgliedstaaten auf ihrem diplomatischen Erfolg aufbauten und ihn erweiterten, kämen sie auch einem anderen Ziel entscheidend näher: sich erneut in einer Frage von sicherheitspolitischer Bedeutung von den USA zu emanzipieren und somit als eigenständiger Akteur der internationalen Politik wahrgenommen zu werden.

Den Artikel finden Sie auf der Website der Friedrich-Ebert-Stiftung.