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FES | Lichtblick in der EU: Nationale Wende in Kroatien gestoppt

Der Befund ist niederschmetternd: Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński propagieren die „illiberale Demokratie“, in einigen anderen EU-Mitgliedstaaten sind autoritäre Tendenzen in der Regierung erkennbar, rechtspopuläre Parteien sind in nahezu allen europäischen Staaten im Aufwind, auch in Deutschland. Nun die gute Nachricht: Im jüngsten EU-Mitgliedsland Kroatien ist der Versuch einer illiberalen Wende gescheitert, die nationalkonservative Partei muss nach knapp fünf Monaten im Amt aufgeben, im September 2016 gibt es Neuwahlen. Die Sozialdemokraten liegen in Umfragen weit vorn.

Wie kam es dazu? Die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ) ist die geborene Regierungspartei Kroatiens. Ihr Gründer Franjo Tuđman regierte das Land seit seiner Unabhängigkeit 1991 autoritär. Das neue Jahrtausend brachte Kroatien einen Demokratisierungsschub, Sozialdemokraten (SDP) und HDZ wechselten sich in der Regierung ab. Integration in die NATO und der Beitritt zur EU waren Konsens zwischen den sonst ideologisch verfeindeten Lagern. Mit dem EU-Beitritt vor genau drei Jahren konnte Kroatien schließlich einen großen Erfolg feiern. Deshalb überraschte es, dass die HDZ 2015 mit einer Wende nach rechts, dem Programm einer Re-Tuđmanisierung und dem Betonen des Nationalen unter dem Titel „Heimatliebende Koalition“ in den Wahlkampf zog. Die autoritären Tendenzen waren dabei klar erkennbar. Zuhause, so der Spitzenkandidat Tomislav Karamarko im Wahlkampf, dürfe auch in Zukunft noch jeder sagen, was er denke, doch in der Öffentlichkeit sei Kritik an den Helden des Krieges der 1990er Jahre in Zukunft nicht mehr gestattet. Und Ruža Tomašić, mit Unterstützung der HDZ ins EU-Parlament gewählt, warnte, so mancher Serbe müssen Kroatien noch verlassen, wenn man erst einmal anfange, in seinem Hinterhof aufzuräumen. Wahlkampfunterstützung wollten auch nationalistische Kräfte unter den Kriegsveteranen leisten, die gegen die sozialdemokratische Vorgängerregierung protestierten und sich Rangeleien mit der Polizei vor dem Regierungssitz und Parlament lieferten.

Einen großen Erfolg konnte die HDZ mit diesem Programm nicht landen. Die erhoffte Zweidrittelmehrheit blieb in weiter Ferne. Bei den Parlamentswahlen im November 2015 wurde lediglich das Minimalziel einer relativen Mehrheit im Parlament erzielt. Der Sieg der HDZ über die regierende SDP war so dünn, dass sie ohne Koalitionspartner keine Regierung bilden konnte. Überraschend viele Wähler hatten sich aus Enttäuschung über die beiden ideologisch verfeindeten Lager für eine ganz neue Kraft, die „Most“ (kroatisch für „Brücke“) entschieden. In turbulenten Koalitionsverhandlungen konnte schließlich die HDZ eine Koalition mit der Most schmieden, bezahlte dafür aber einen hohen Preis. Obwohl die Most (15 Sitze) der eindeutig kleinere Koalitionspartner war (HDZ: 50 Sitze), sicherte sie sich einen großen Teil der Macht. Die HDZ konnte nicht den Ministerpräsidenten stellen; das wurde der parteilose, politisch unbekannte und unerfahrene Manager Tihomir Orešković. Die wichtigen Ministerien für Wirtschaft und Inneres gingen an die Most. So konnte der Parteivorsitzende und Spitzenkandidat der HDZ Karamarko zwar die Rückeroberung der Regierungsmehrheit als Erfolg für sich verbuchen, doch weder das vergleichsweise schwache Wahlergebnis noch die Machtverhältnisse in der Regierung konnten seine Partei zufrieden stellen.

Dennoch machten sich Teile der HDZ in der Regierung an die Umsetzung ihrer Agenda, die Züge einer illiberalen Wende nach dem Vorbild Victor Orbáns in Ungarn trug. Schon sechs Tage nach seiner Ernennung musste der Minister für die Kriegsveteranen Mijo Crnoja jedoch aufgeben. Offizieller Anlass war eine Steueraffäre, doch für Aufregung hatte er mit der Ankündigung gesorgt, ein „Verzeichnis der Volksverräter“ erstellen zu lassen. Darin sollten alle öffentlich aufgeführt werden, die es an patriotischer Begeisterung während des „Vaterländischen Krieges“ 1991 bis 1995 hatten fehlen lassen. Es regte sich lauter Protest bei der Opposition, beim Koalitionspartner Most, bei Künstlern und Intellektuellen und in der Zivilgesellschaft. Zur „Unterstützung“ des neu gewählten Ministers richteten einige Aktivisten eine Plattform ein, auf der man sich selbst scherzhaft in das Verzeichnis der Verräter eintragen konnte: Binnen weniger Tage hatten sich 4000 Freiwillige gemeldet.

Die Hauptfigur der illiberalen Wende im kroatischen Kabinett war hinfort Kulturminister Zlatko Hasanbegović (HDZ). Allein, auch er konnte nicht so wie er wollte. Erstens fehlte eine eigene Mehrheit, geschweige denn eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Zweitens, regte sich der Widerstand der Zivilgesellschaft: Journalisten und Künstler protestierten gegen die Einschränkungen von Presse und Meinungsfreiheit, die Minderheitenvertreter leisteten Widerstand gegen eine national geprägte Erinnerungskultur, das Expertenkomitee zur Gestaltung einer Bildungsreform widersetzte sich dem Einfluss der politischen Rechten. Dies brachte, drittens, auch die Bevölkerung auf die Barrikaden: Mehr als 40 000 Menschen demonstrierten gegen das Scheitern der dringend benötigten Reform des Schulwesens; bei einer Gesamtbevölkerung von 4,2 Mio. ist das eine gewaltige Protestkundgabe.

Die „illiberale Wende“ war sicherlich nicht Teil der Agenda des parteilosen Ministerpräsidenten Orešković. Doch die Unruhe und politische Instabilität, die dadurch entstand, verhagelte ihm seine eigenen Ziele: die Konsolidierung der Staatsfinanzen und Belebung der Wirtschaft, der außer dem Tourismus weitere Wachstumsimpulse seit vielen Jahren fehlen. Den Preis für die politischen Turbulenzen konnte Orešković schließlich am Spread für kroatische Staatsanleihen ablesen: Statt der erwarteten drei Prozent forderten die Märkte am 1. Juni 2016 fünf Prozent – und die Auktion wurde gestoppt. Die versprochene Reformagenda für die Staatsverwaltung, das Gesundheitssystem, die Gebietsreform und Bürokratieabbau blieben auch vier Monate nach Amtsübernahme noch weitgehend im Dunkeln.

Ein Korruptionsskandal um den HDZ-Vorsitzenden Karamarko entfaltete schließlich eine Dynamik, in der die Spannungen zwischen den Koalitionspartnern zum Ausbruch kamen und die Regierung zur Implosion trieben. Am 15. Juni stellte die staatliche Prüfkommission fest, dass ein Interessenkonflikt für Karamarko zwischen der Lobbytätigkeit seiner Frau für ungarische Interessen in den Verhandlungen um die kroatische Mineralölgesellschaft INA vorliege. Es ist schon erstaunlich, dass der größte Berufspatriot und Führer der „heimatliebenden Koalition“ in einen Konflikt über ausländische Interessen gegenüber der nationalen Mineralölgesellschaft stürzt; Karamarko trat von seinem Amt als stellvertretender Ministerpräsident zurück. Damit kam er einem von der Opposition (SDP) gestellten Misstrauensantrag gegen ihn zuvor.

Gleichzeitig wurde jedoch von der HDZ ein Misstrauensantrag gegen den Ministerpräsidenten Orešković von der HDZ eingebracht, offenbar mit der Absicht, eine neue Koalition im Parlament zu schmieden und eine neue HDZ-geführte Regierung einzusetzen. Ministerpräsident Orešković wurde so von „seinem“ größeren Koalitionspartner HDZ gemeinsam mit dem Stimmen der Opposition aus dem Amt befördert. Zur Bildung einer neuen HDZ-geführten Regierung kam es jedoch nicht mehr: Am 20. Juni löste sich das Parlament auf, Neuwahlen werden Anfang September 2016 stattfinden. In Umfragen liegt das Koalitionsbündnis der Sozialdemokraten mehr als sechs Prozentpunkte vor den Nationalkonservativen.

Die illiberale Wende in Kroatien ist damit erst einmal gestoppt. Der nationalistische Kurs und die rechtsradikale Rhetorik haben viele Wähler verschreckt, der Widerstand in der Zivilgesellschaft und bei den Minderheitenvertretern sowie schließlich in der Bevölkerung haben die Agenda der Nationalkonservativen zum Scheitern gebracht. Die kroatische Bevölkerung hat größere demokratische Reife bewiesen als ihre politische Klasse. Ein Lichtblick im kriselnden Europa.