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FES: Sieg für das Europäische Parlament

Jetzt einen klaren Blick und einen graden Rücken – auch gegen die Feinde Europas.

Die Sozialdemokraten legen zu, die Christdemokraten liegen vorne, und die Demokratie in Europa gewinnt. Das sind drei der vier wichtigsten Erkenntnisse aus der Europawahl. Im Einzelnen:
Den Sozialdemokraten gelingt mit einem Stimmengewinn von 6,5 Prozent der größte Zuwachs bei einer bundesdeutschen Wahl seit 1949. „Im Aufwind“ titeln seriöse Kommentatoren und der Aufwind kam von keinem Windmacher, sondern einem kompetenten begeisternden und umtriebigen Europäer: Martin Schulz.
Ihm persönlich ist es zu verdanken, dass aus dem Beschluss der Sozialdemokratischen Parteifamilie, mit einem Spitzenkandidaten in die Europawahl zu gehen, ein wahrhaft europäischer Wahlkampf wurde und nicht wie bisher die Addition nationaler Wahlkämpfe. CDU/CSU sind nur zögerlich dem sozialdemokratischen Beispiel gefolgt, Liberale und Grüne in der EU waren wie wir von Anfang an dafür, bei der Europawahl um das Amt des Kommissionspräsidenten zu kämpfen.
Das Ergebnis ist erst der zweite Schritt

Wahr ist auch: Das ist nach dem Bundestagsergebnis erst der zweite Schritt auf dem Weg zurück zur neuen Mehrheitsfähigkeit der SPD. Und die beginnt erst mit Stimmenanteilen bei deutlich über 30 Prozent.
Die Christdemokraten liegen vorne, trotz des Verlustes von über 60 Mandaten im Vergleich zur Europawahl 2009. Als EVP bleiben sie – auch ohne britische, polnische und tschechische Konservative – die stärkste Kraft im Europäischen Parlament. Ob diese zahlenmäßige Mehrheit auch einen realen Zusammenhalt in der Fraktion sichert, muss abgewartet werden. Solange Parteien mit starker nationalistischer Prägung wie Berlusconis Forza Italia und Orbans ungarischer Fidesz offizielle und wichtige Kräfte in der EVP sind, wird man da ein großes Fragezeichen setzen müssen.
Die Demokratie in Europa gewinnt. Mit der für manche überraschend zügigen Verständigung von sechs Fraktionsvorsitzenden im EP nur zwei Tage nach der Wahl, auf Jean-Claude Juncker als ersten Pretender für die Wahl des Kommissionspräsidenten, wurde das stärkst mögliche Signal gesetzt. Der EVP-Spitzenkandidat hat jetzt die Gelegenheit, eine Mehrheit für die Wahl des Kommissionspräsidenten zu bilden.
Dazu wird er sich auch programmatisch äußern müssen. Dies entspricht genau jener Vereinbarung, die von Christdemokraten, Liberalen und Sozialdemokraten vor der Wahl gemacht worden ist: Bei der (Aus-)Wahl des neuen Kommissionspräsidenten muss sich strikt an das Ergebnis der Wahl gehalten werden! Auf dieser Grundlage müssen jetzt die Staats- und Regierungschefs unter Vorsitz des Ratspräsidenten van Rompuy tätig werden. Anders ausgedrückt: sie sind nur der politische Notar, nicht aber der politischer Formateur. Sollte Juncker scheitern, käme Martin Schulz als Spitzenmann der zweitstärksten Fraktion zum Zuge. Diejenigen, die gegen eine weitere europäische Integration sind wie der konservative Brite David Cameron oder der Pseudo-Christdemokrat Viktor Orban werden sich dem widersetzen, sie dürfen aber nicht die Möglichkeit der Blockade erhalten.
Es besteht also die realistische Chance, die Parlamentarisierung der Europäischen Union fast zu vollenden – 35 Jahre nach der ersten Direktwahl eines Supranationalen Parlaments weltweit. Auf der anderen Seite steht diesem historischen Aufschwung leider ein ebenfalls historischer Abschwung gegenüber: Die Feinde Europas sind mitten in Europa angekommen.
Nie waren rechte Kräfte so stark wie heute: Die Front National wird mit dem Ziel der Zerstörung Europas stärkste Partei in Frankreich, die nationalistische UKIP wird mit dem Ziel des EU-Austritts stärkste Partei in Großbritannien, die rechtsgerichtete Folkeparti wird mit Ausländerfeindlichkeit stärkste Partei in Dänemark.
Das Spektrum der Erfolge reicht von flämischen Separatisten bis zu ungarischen Extremisten. Dazwischen finden sich alle Schattierungen, die man sich beim Thema Anti-Europa nur vorstellen kann. Und auch in Deutschland ist mit der AfD eine Protestpartei im Parlament gelandet, die den Euro als zentralen Teil der Integration abschaffen will – ein Vorgang, für den es in der 63-jährigen Geschichte deutscher Europapolitik nur die Wahl der Republikaner 1989 in das EP als Vorbild gibt.
Für die Parteien des europäischen Verfassungsbogens – in Deutschland CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD – kommt es jetzt auf Inhalte und Haltungen an: Die Inhalte sind mit verfassungsgebenden Mehrheiten in hunderten von Abstimmungen durch alle Parlamente der Europäischen Mitgliedstaaten seit 1951 beschlossen worden. Den Kurs eines vereinten Europas mit Vertiefung und Erweiterung setzen wir fort, auch wenn in absehbarer Zeit kein Konvent anstehen dürfte.
Die Haltung muss von einem klaren Blick und einem gradem Rücken geprägt sein: Wir vertreten selbstbewusst die Existenz der EU, ohne uns für irgendetwas entschuldigen zu müssen. Wir weisen jede Kritik an der EU als institutionelle Gemeinschaft zurück und stellen uns zugleich jeder Kritik, die an konkreter europäischer Politik geäußert wird.
Den Beitrag von Opens internal link in current windowAxel Schäfer finden Sie hier im Original.