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Europäische Wertegemeinschaft, Partizipation & Zivilgesellschaft

FES | Warum die Europäische Union einen Fonds für europäische Werte braucht

Das Online-Journal Internationale Politik und Gesellschaft (IPG) der Friedrich Ebert Stiftung veröffentlichte am 20. Februar 2018 einen Artikel von Jan Jakub Chromiec, Adam Traczyk. Die Autoren gehen der Frage nach, warum die Europäische Union einen Fonds für europäsche Werte braucht.

Sie schreiben:

In der Wirtschaftswelt ist es üblich, dass Hacker eingestellt werden, um gefährliche Schwachstellen einer Organisation aufzuspüren. Nach dieser Logik sollte die Europäische Union der polnischen Regierung einen großzügigen Preis verleihen.

Die jüngsten Entwicklungen in Polen haben nämlich eine entscheidende Schwachstelle der Union offengelegt. Diese besteht weniger in der richtigen Balance zwischen mehr oder weniger Integration. Die Zukunft der Union wird stattdessen von der öffentlichen Zustimmung für europäische Werte abhängen. Um diese These zu verstehen, stellen Sie sich vor, welche Konsequenzen es hätte, wenn sich die polnische Regierungspraxis europaweit durchsetzte.

Zunächst würde die Union ihre außenpolitische Glaubwürdigkeit verlieren. Wenn Mitgliedsländer Rechtsstaatlichkeit aushebeln, Medienfreiheit einschränken und Nichtregierungsorganisationen bekämpfen, ist die Union wenig glaubwürdig, wenn sie in ihrer Nachbarschaft für demokratische Standards wirbt. Zweitens, wenn Mitgliedsländer Urteile des Europäischen Gerichtshofs ignorieren, wird gemeinsame Politik wertlos. Sie funktioniert nämlich nur dann, wenn eine unabhängige Instanz gemeinschaftliches Recht durchsetzen kann. Drittens: Stellen Sie sich vor, welche Entscheidungen der Europäische Rat treffen würde, wenn Kaczyńskieske Regierungen die Mehrheit hätten. Strenger Nationalismus nach dem Motto „Deutschland first“, „Frankreich first“ und anderen „firsts“, Verachtung des Rechtsstaats sowie Infragestellung getroffener Beschlüsse würden das europäische Projekt zerstören.

Aus der Geschichte wissen wir allerdings, dass die Alternative zur Stärke des Rechts nur das Recht des Stärkeren sein kann.

Kurzum: Wenn Mitgliedsländer europäische Werte verachten – pluralistische Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte –, bricht die Union als wertebasiertes System friedlicher Konfliktlösung unter Demokratien zusammen. Wir können nur spekulieren, wie eine neue Union aussehen würde. Aus der Geschichte wissen wir allerdings, dass die Alternative zur Stärke des Rechts nur das Recht des Stärkeren sein kann.

Deshalb sollte die polnische Regierung einen Preis verliehen bekommen. Einerseits ist ihr Verhalten ein Warnschuss, der uns an die Zerbrechlichkeit liberal-demokratischer Institutionen erinnert. Diese Institutionen existieren nicht. Sie sind nicht mehr als ein paar Blätter Papier, die durch öffentliche Zustimmung zur politischen Realität werden. Nimmt man diese Zustimmung weg, hält man bloß Papier in den Händen.

Andererseits: Wenn man den Schwachpunkt kennt, kann man über Lösungen nachdenken. In diesem Sinne schlagen wir einen präventiven Ansatz zur Stärkung europäischer Werte vor. Denn der korrektive Arm existiert bereits: Artikel 7 des EU-Vertrags sieht im Falle einer schwerwiegenden Verletzung europäischer Werte die Suspendierung des Stimmrechts vor. Bevor es soweit ist, wird ein dialogbasiertes Rechtsstaatsverfahren eingeleitet. Das Manko dieser Instrumente besteht darin, dass sie annehmen, man könne Mitgliedsländer durch Dialog zum Einlenken bewegen. Wenn ein Mitgliedsland aber statt auf Dialog auf Konfrontation setzt, sind sie zahnlos. Darüber hinaus ist Artikel 7 eine „nukleare Option“: Sobald er zu Ende angewandt wird, sind die Einflussmöglichkeiten ausgeschöpft.

Daher ist derzeit im Gespräch, Polens Kurskorrektur durch die Einschränkung von EU-Mitteln zu erreichen. Dieser Vorschlag ist ein zweischneidiges Schwert. Er könnte die Regierung zwar möglicherweise einen Teil ihrer Popularität kosten, würde aber zugleich polnische Bürger treffen, deren Europa-Enthusiasmus nicht zuletzt mit den Struktur- und Agrarfonds zusammenhängt.

Ein Fonds für Europäische Werte würde NGOs unterstützen, die sich für Werte gemäß Artikel 2 des EU-Vertrags einsetzen: Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und demokratische Standards.

Weil es so schwer ist, auf Verstöße gegen europäische Werte zu reagieren, sollte die Union in vorbeugende Maßnahmen investieren. Im Folgenden schlagen wir vor, wie eine dieser Maßnahmen aussehen könnte.

In allen Mitgliedsländern ist die Zivilgesellschaft ein entscheidender Verbündeter im Werben für europäische Werte. Am polnischen Beispiel sieht man das besonders deutlich. So veranstalteten im vergangenen Sommer große und kleine Nichtregierungsorganisationen Proteste in knapp 250 Städten, die den Präsidenten dazu bewegten, gegen Teile einer kontroversen Justizreform sein Veto einzulegen.

Allerdings wird es immer schwerer, solche Organisationen zu betreiben. Die polnische Regierung strich die Förderung für kritische Organisationen zusammen, gründete ein „Nationales Zentrum zur Entwicklung der Zivilgesellschaft“ zur Überwachung staatlicher Zuschüsse und führte Schmutzkampagnen in regierungstreuen Medien durch. Somit fehlen der organisierten Zivilgesellschaft ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, da sie am dringendsten gebraucht wird, die Mittel, um sich für europäische Werte einzusetzen.

Daher muss die EU einschreiten. Bereits heute hilft die Union pro-demokratischen Organisationen in der Nachbarschaft. Dem Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte etwa stehen für diesen Zweck 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Wenn aber demokratische Institutionen innerhalb der Union gefährdet sind, brauchen wir ein Instrument für die Mitgliedsländer.

Dieses Instrument, nennen wir es Fonds für Europäische Werte, würde Nichtregierungsorganisationen unterstützen, die sich für Werte gemäß Artikel 2 des EU-Vertrags einsetzen: Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und demokratische Standards. Die Förderung würde sich an Organisationen in allen Mitgliedsländern richten, um zu unterstreichen, dass die Pflege gemeinsamer Werte eine Aufgabe für die EU als Ganzes ist. Das Budget könnte sich an dem orientieren, was die Union für ähnliche Zwecke in Drittstaaten ausgibt.

Ein solcher präventiver Arm hätte drei Vorteile. Erstens würde er die raue Sprache der Sanktionen durch ein positives Signal aus Brüssel ergänzen. Zweitens würde er Spaltungen in der Union verringern, indem er unterstreicht, dass Werteförderung eine unionsübergreifende Aufgabe ist. Drittens würde er das Immunsystem der europäischen Demokratien stärken. Schließlich kann Demokratie nur durch Bürger aufrechterhalten werden, die an sie glauben und für sie kämpfen. Friedrich Ebert sagte dazu treffend: Demokratie braucht Demokraten.

Die Alternative zu bedeutenden Investitionen in europäische Werte ist, dass Institutionen, die unsere Freiheit und unseren Wohlstand sichern, in einigen Jahren nicht mehr sein werden als ein wehrloses Stück Papier.

Dieser Beitrag erschien auf Euractiv.de

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