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Föderale Vielfalt für Europa: Vierte Deutsch-Belgische Konferenz der EBD

Die Ankunft des belgischen Königspaars brachte Blitzlichtgewitter, Fernsehkameras und großes Gedrängel in die 4. Deutsch-Belgische Konferenz am 17. Februar. Bevor Philippe, König der Belgier, und seine Gattin Mathilde am Nachmittag von den EBD-Vizepräsidenten Michaele Schreyer und Michael Gahler begrüßt werden konnten, hatten die rund 200 Teilnehmenden aus beiden Ländern bereits fünf Stunden lang zur Frage „Wie wünschen sich Belgier und Deutsche Europa?“ diskutiert.

Europa-Staatsminister Michael Roth MdB betonte in seiner Begrüßung, dass die föderale Struktur beider Länder einen besonderen Blick auf ein Europa ermögliche, das die unterschiedlichen nationalen und regionalen Identitäten respektiere und trotz aller Unterschiede am Ende gemeinsames politischen Handeln ermögliche. Roth plädierte für ein bürgernahes Europa, in dem die Probleme auf der Ebene gelöst werden, auf der das am besten gelinge.

„Alles Unheil dieser Welt wird Brüssel zugeschrieben – da kommen wir nur raus, wenn wir Europa wieder mit einer Botschaft versehen, die Hoffnung gibt“, sagte der Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Karl-Heinz Lambertz und stellte die Frage, ob die „föderale Vielfalt“ dabei helfen könne. Mit augenzwinkerndem Blick auf die Vielfalt der belgischen Biere forderte er dazu auf, die Vielfalt zu genießen und zu nutzen. In knappen Worten schilderte er Belgiens Föderalismus als Erfolgsmodell am Beispiel des Sprachkompromisses: „Er ist sehr kompliziert, keiner versteht ihn, aber er funktionert irgendwie.“

Im Anschluss an die offizielle Begrüßung widmeten sich vier Podiumsdiskussionen dem Thema deutsch-belgische Blicke auf Europa in verschiedenen Facetten.

  • Panel 1: Europäische Nachbarn mit System
    Die „komplizierte Vielfalt“ der Strukturen von Staat und Mitbestimmung in föderal organisierten Ländern wie Belgien und Deutschland war das prägende Thema der ersten Diskussionsrunde. Rudy Demotte, Ministerpräsident der Wallonischen Region und der Französischen Gemeinschaft wies in seinem Impuls auf die intensiven Bande zwischen Belgien und Deutschland hin, erklärte aber auch belgische Besonderheiten. So könnten die belgischen Regionen nach Art. 167 der Belgischen Verfassung sogar völkerrechtliche Verträge abschließen, in anderen Bereichen seien im Vorfeld umfassende Absprachen zwischen Bundesstaat und Gliedstaaten notwendig, damit Belgien mit einer Stimme sprechen könne. Das komplexe belgische System sei nicht so unverständlich, wie es vielleicht klinge. Föderalismus sei eine Möglichkeit mit Komplexität und Vielfalt umzugehen.Die positiven Aspekte des föderalen Systems stellte nach Demotte auch Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes NRW heraus. „Föderalismus macht glücklich“, fasste sie die Ergebnisse einer Schweizer Studie zusammen, derzufolge eine föderale Struktur aufgrund stärkerer Beteiligungsmöglichkeiten deutlichen Einfluss auf das subjektive Glücksgefühl habe. Subsidiarität sei in ihren Augen auch als „Qualitätsprüfung“ zu betrachten. Europa mit seiner Vielzahl autonomer Strukturen sei im besten Sinne föderalistisch. Der Grundsatz „Einheit in Vielfalt“ müsse bestehen bleiben, um die Menschen in Europa wirklich „glücklicher“ zu machen.Klaus Dauderstädt, Bundesvorsitzender des dbb beamtenbund und tarifunion, erinnerte daran, dass föderale Strukturen nicht überall in Europa gleich sein müssten: „Entscheidend ist das klare Bekenntnis zum Pluralismus, zu einer freiheitlich-demokratischen Ordnung und zur europäischen Zusammenarbeit.“ Christiane Overmans, die Vizepräsidentin des Rats der Gemeinden und Regionen Europas und Mitglied des Stadtrates Bonn, sowie Dirk Wouters, Ständiger Vertreter Belgiens bei der Europäischen Union und François Roux, Generaldirektor im Föderalen Öffentlichen Dienst Auswärtige Angelegenheiten, diskutierten die legitimierende Rolle des Föderalismus: „Europa geht gut mit Föderalismus zusammen. Entscheidungen dauern zwar vielleicht länger, aber sie sind legitimer und wirksamer. Das führt dazu, dass wir mehr Vertrauen haben in die Institutionen“, so das Fazit des Panels.
  • Panel 2: In Europa leben – Europa erleben
    Hier wurde es persönlich – deutsche und belgische Politiker und Journalisten berichteten von ihren beruflichen und privaten Erfahrungen als „Berufsmigranten“ im jeweils anderen Land. Kris Peeters, Ministerpräsident von Flandern, eröffnete das Panel mit einem optimistischen Impuls. Er betonte die erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Flandern und den deutschen Ländern. Hier zeige sich deutlich, wie erfolgreich deutsche und belgische Arbeitnehmer bereits in die jeweils andere Gesellschaft integriert seien.Nicht ganz so positiv bewerteten die berufliche Integration die „Berufseuropäer“, die zwar in Belgien, dort aber für die Europäische Union tätig sind. Sowohl EBD-Vizepräsident Michael Gahler, MdEP, als auch Elisabeth Kotthaus, Politische Berichterstatterin Recht der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin, gaben zu, dass es schwierig sei, sich in die belgische Gesellschaft zu integrieren, wenn man sich überwiegend im Brüsseler Mikrokosmos der europäischen Institutionen aufhalte. Das Brüsseler Viertel habe etwas von einem Ufo, konstatierten die beiden Journalistinnen Marion Schmitz-Reiners und Béatrice Delvaux, und es zeige wie ein Brennglas typische Probleme der EU auf: Dass sich das „EU-Brüssel“ weit weg anfühle, gelte also nicht nur in Berlin, sondern auch für Bürgerinnen und Bürger der belgischen Hauptstadt.Die Anwesenden stimmten überein, dass Sprachkenntnisse ein zentraler Schlüssel für die Verständigung und Integration sei. Dr. Bert Van Roosebeke vom Centrum für Europäische Politik und seit 14 Jahren in Deutschland tätig, beschrieb zweisprachig, wie er kürzlich in die Elternvertretung des Kinderladens seiner Kinder gewählt wurde, ein Gremium, das er so aus Belgien gar nicht kenne. Seitdem sei er endgültig sicher – er sei erfolgreich integriert.
  • Panel 3: Deutsch-belgische Antworten auf Europa
    Belgier und Deutsche kennen eine starke parlamentarische Demokratie – wie ist die Mitwirkung nationaler und regionaler Parlamente in der Europapolitik? Gibt es eine Agenda für eine neue europäische Governance? Dr. Reinhold Rickes, Abteilungsdirektor Volkswirtschaft und Finanzmärkte des DSGV, gab den Impuls zum Thema. „Für uns ist Europa eine Erfolgsgeschichte, der Euro eine Herzensangelegenheit – gerade deshalb stehen wir in der Pflicht, das Fundament für das Weiterbestehen Europas zu legen“, mahnte Rickes mit Blick auf die Europawahl. Er forderte einen neuen Europäischen Konvent, um die Wirtschafts- und Währungsunion besser aufzustellen und bis dahin einige Stellschrauben zu verändern, um Europa voranzubringen.Der Vorsitzende des EU-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum MdB, plädierte für den Ausbau der Parlamentarisierung in der Europa- und Außenpolitik, die seit Maastricht immerhin deutlich vorangeschritten sei. Dennoch gelte es, den Demagogen nicht auf den Leim zu gehen. Christian Behrendt, Professor für Verfassungsrecht an der Université de Liège, gab ihm Recht: Der Austausch von Argumenten im Parlament, die Abbildung von Zwischentönen biete einen „parlamentarischen Mehrwert“, den Volksabstimmungen alleine nicht erreichen könnten.Ähnlich sah es Matthias Grosch, MdEP aus Belgien: „Wir müssen die europäische Debatte in alle Parlamente bringen! Ich würde mir wünschen, dass EU-Kommissare in die nationalen Parlamente kommen und dort Rede und Antwort stehen“, sagte er unter großem Applaus. Auch Manuel Sarrazin MdB forderte, die parlamentarische Rolle wieder zu stärken: „Wir brauchen einen Europäischen Konvent, wir müssen einen Raum schaffen, wo Parlamentarier und Zivilgesellschaft über die Zukunft Europas reden können.“ François-Xavier de Donnéa, Staatsminister und Mitglied des Föderalen Parlaments Belgien, sah daneben die Medien in der Pflicht. Er sei nicht sicher, ob dort alle erklären könnten, wie Europa funktioniert und warum wir es brauchen.
  • Panel 4: Europa für die junge Generation fit machen. Mehr Demokratie in der europäischen Innenpolitik
    Mangelt es an einer gemeinsamen Geschichte? Wie kann eine größere externe Legitimität erreicht und die Pionierrolle der EU auf globalem Parkett in Szene gesetzt werden? Auf welche Bereiche muss sich die EU zukünftig als Ganzes konzentrieren? Diesen Fragen gingen Prof. Dr. Dr. hc Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance und Prof. Dr. Jonathan Holslag, Dozent in Brüssel und Leiter des jungen belgischen Think Tanks „Vrijdaggroep“, in ihren Impulsen nach. Der Schlüssel für ein attraktiveres Europa liege bei der Zivilgesellschaft, stellte Schwan eingangs fest. Transnationale Zusammenarbeit der Akteure sei ein erster Schritt, das gemeinsame Werk führe zusammen und schaffe Vertrauen. Das Stichwort griff Holslag in seinem Impuls auf: Angesichts der beneidenswert engen wirtschaftlichen Verflechtung der EU-Staaten untereinander – die Exporte von Deutschland nach Belgien seien immer noch höher als in alle BRICS-Staaten zusammen – mangele es der EU an Selbstvertrauen. Der Mangel an einer großen gemeinsamen Geschichte sei das Problem, so Holslags These. Diese könnte die junge Generation liefern, schließlich sei sie bereits mit der EU als funktionierende Lebenswirklichkeit aufgewachsen, ergänzte Prof. Dr. Ferdi De Ville von der Universität Gent in seinem Kommentar. Doch um die zahlreichen Perspektiven nutzen zu können, brauche es Jobs. Die Wettbewerbsfähigkeit in der EU dürfe folglich nicht in einem Wettkampf der Niedriglöhne enden, sondern müsse darauf abzielen, die Jugendarbeitslosigkeit als gesamteuropäisches Problem anzugehen, plädierte EBD-Vorstandsmitglied Daniel Sahl (BDI).Um Demokratie nicht nur mit langwierigen Prozessen in Verbindung zu bringen, bedarf es einer Modernisierung – auch der dafür notwenigen Kommunikationsstrukturen, argumentierte Thomas Renard vom Egmont Institut. Eine mögliche „iDemokratie“ bedeute auch die Bereitstellung und Berücksichtigung neuer Kommunikationsmittel, damit „Engage and Empower“ für die Jugend auch Sinn ergebe: Mitmachen, aber auch Mitreden dürfen, so Renard.

Vor den Augen und Ohren des belgischen Königspaares, dem belgischen Premierminister Elio di Rupo und den Außenministern beider Länder wagte EBD-Vizepräsidentin Prof. Dr. Michaele Schreyer eine Zusammenfassung der Deutsch-Belgischen Konferenz, bei der „Vielfalt“ und „föderale Strukturen“ im Mittelpunkt gestanden hätten. Gemeinsam sei beiden Ländern die Erfahrung, dass die föderale Kompetenzverteilung zwischen den Ebenen nicht in Stein gemeißelt, sondern dynamisch und wandelbar sei. Diese stetige Suche nach dem besten Gleichgewicht sei auch für die Weiterentwicklung der EU von Bedeutung. Die neuen Schritte auf der EU Ebene können für die Weiterentwicklung der innerstaatlichen Demokratie in den Mitgliedstaaten neue Anregungen bringen. Für sie sei es deshalb „aufregend und anregend“, dass in Belgien am 25. Mai gleichzeitige Wahlen für die Regionalparlamente, das föderale Parlament und zum Europäischen Parlament stattfänden. Zu diesem Schritt, der die Mehrebenen-Demokratie in der EU betone, beglückwünsche sie den belgischen Staat.
Den Abschluss der Konferenz bildeten Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein belgischer Amtskollege Didier Reynders. Beide erinnerten daran, dass Europa „Work in Progress“ sei und Banner- statt Bedenkenträgern brauche. Belgien und Deutschland werden dabei helfen, dass der europäische Traum gelebt werde.

Wenn es um die Zukunft Europas geht, darf die Stimme der Jugend nicht fehlen. Daher hatte die EBD junge Journalisten und Journalistinnen beider Länder aufgefordert, sich an einer Ausschreibung zu beteiligen, um die heutige Konferenz exklusiv für ihr Medium zu begleiten: Was verbindet Deutschland und Belgien? war die Frage, auf die Elena Boroda, Catherine Joie, Catherine Marie Ann Offermanns, Laurens Soenen und Mario Vondegracht via Twitter die prägnantesten Antworten gaben. Die Jungjournalisten tauschten sich auf und im Vorfeld der Konferenz intensiv zu Fragen von Föderalismus, Demokratie und deutsch-belgischer Vernetzung aus.

Eine Dokumentation der Redebeiträge zur Konferenz im EU-in-BRIEF 04/2014:
Föderale Vielfalt für Europa: Vierte Deutsch-Belgische Konferenz (PDF zum Download)