Freizügigkeit – höchstes Gut, gesamteuropäisches Phänomen oder gar Problem?
Bedrohen bulgarische und rumänische Einwanderer den deutschen Arbeitsmarkt? Oder fordert der Wegzug der Arbeitskräfte seine Tribute viel eher in deren Heimatländern in Südosteuropa? Und wie können die Zuwanderer in Deutschland vor ausbeuterischer Beschäftigung geschützt werden? Diese und weitere Fragen wurden bei EBD Exklusiv „Der Wegfall der Barrieren: Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänien und Bulgarien“ diskutiert.
Zu Gast waren die rumänische Arbeitsministerin Mariana Câmpeanu und ihr Amtskollege Hasan Ademov aus Bulgarien sowie Jörg Asmussen, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Elisabeth Kotthaus, Politische Berichterstatterin Recht der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland und nutzten die Möglichkeit des Miteinander anstelle eines Übereinander zum Thema Arbeitsmigration. EBD-Generalsekretär Bernd Hüttemann moderierte die Diskussion und machte mit Blick auf das Referendum in der Schweiz und in Anlehnung an die Forderung der EBD-Vizepräsidenten klar: Migration muss als gesamteuropäisches Phänomen auf gesamteuropäischer Ebene behandelt werden.
Einleitend wies der Gastgeber Max Brändle, Friedrich-Ebert-Stiftung Referat Mittel- und Osteuropa auf die Mär vom „Sozialtourismus“ hin. Schließlich hatte der uneingeschränkte Zutritt zum deutschen Arbeitsmarkt für Bulgaren und Rumänen ohne berufsqualifizierenden Abschluss ab dem 1. Januar 2014 Kontroversen ausgelöst. Man las von „Sozialtourismus“ und „Sozialleistungsmissbrauch“ – Schlagwörter, die Ängste schüren, der Debatte jedoch nicht gerecht würden, betonte auch Asmussen. Von 148.000 bulgarischen und rumänischen Zuwanderern in Deutschland sind mehr als Dreiviertel durch bestehende Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig. Die Arbeitslosenquote liege unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Sogenannte Armutszuwanderung betreffe 25 deutsche Kommunen besonders stark – es handele sich folglich nicht um ein flächendeckendes Phänomen.
Câmpeanu und Ademov begrüßten den gemeinsamen Austausch. Von rumänischer Seite wurde insbesondere die Diskussion zur Einführung des Mindestlohns in Deutschland positiv hervorgehoben. Auf diese Weise könne dem Missbrauch von Werkverträgen, illegalem Subunternehmertum und fraglichen Personaldienstleistern vorgebeugt werden. Ademov stützte sich auf konkrete Zahlen: 25% der bulgarischen Arbeitnehmer in Deutschland haben einen Hochschulabschluss, weitere 35% die mittlere Reife. Die Nationale Einnahmenagentur in Bulgarien klärt bereits vorab über Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte im Ausland auf, die Zusammenarbeit deutscher und bulgarischer Gewerkschaften verfolgt den Schutz vor unwürdigen Arbeitsbedingungen und Lohndumping. Für die Stärkung der fairen Mobilität und das Recht auf Beratung plädierte auch Annelie Buntenbach von der EBD-Mitgliedsorganisation Deutscher Gewerkschaftsbund.
Der Einfluss der Arbeitsmigration auf Rumäniens und Bulgariens Bevölkerungsstruktur sei durchaus spürbar. Ziel müsse daher sein, gemeinschaftlich ein modernes Europa aufzubauen, innerhalb dessen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer als Motor eines effizienten Binnenmarktes fungiert. Mit Verweis auf eine im Januar veröffentlichte Studie der Europäischen Kommission argumentierte Kotthaus: Mobile Arbeitnehmer sind im Durchschnitt jünger und arbeiten häufiger. Um positive Integrationsbeispiele zu mehren, plant die Kommission ein Online-Training für kommunale Beamte zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Zudem müssen mindestens 20% der Mittel des Europäischen Sozialfonds in der Förderperiode 2014-2020 für soziale Eingliederung und Armutsbekämpfung verwendet werden. Dass gerade auf lokaler Ebene Handlungsbedarf bestehe, wurde während der Diskussion ebenfalls klar. So kann eine Willkommenskultur nicht lediglich gutausgebildeten Fachkräften gelten – Schulbesuch, medizinische Versorgung und Spracherwerb müssen auch Migranten am Rande der Gesellschaft ermöglicht werden, so die Forderung aus dem Publikum.