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Wirtschaft & Finanzen

Litauen: Modell für erfolgreiches Krisenmanagement

Friedrich Naumann Stiftung: Was sind die Schwerpunkte der litauischen Ratspräsidentschaft? Können die Litauer mit ihrem erfolgreichen Management der Finanz- und Wirtschaftskrise Modell für andere Mitgliedsstaaten sein?

Programm und Schwerpunkte – ein glaubwürdiges, wachsendes und offenes Europa

Die Devise der litauischen Ratspräsidentschaft ist, ein glaubwürdiges, wachsendes und offenes Europa zu gestalten. Litauen will mit seinem Erfolg im Umgang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise als Modell fungieren. Aufbauend auf diesen Erfahrungen soll auch auf EU-Ebene ein glaubwürdiger Spar- und Reformkurs implementiert werden. Die Regierung in Vilnius möchte weitere Fortschritte im Bereich der Sanierung öffentlicher EU-Finanzen und eine stärkere finanzielle Stabilität unter den Mitgliedsstaaten erreichen. Hauptziel ist, die bereits vereinbarten Reformen zur wirtschaftlichen Steuerung und Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion voran zu treiben. Darunter zählen weitere Schritte zur Schaffung der Bankenunion und die Reform der Finanzmärkte.

Zweiter Schwerpunkt Litauens ist die Umsetzung des Energiebinnenmarkts bis 2014. Aufgrund der eigenen Energieabhängigkeit von Russland strebt Litauen einen schnellen Anschluss an das europäische Energienetz für alle „Energieinseln“ an. Litauen und seine baltischen Nachbaren hängen zu 90% von Gasimporten (von Gazprom) ab und können ohne europäische Hilfe keine alternativen Energiequellen aufbauen oder sich billigerer Lieferanten bedienen.

Offen soll Europa aus litauischer Sicht vor allem gegenüber seiner östlichen Nachbarschaft sein. Dritter Schwerpunkt der litauischen Ratspräsidentschaft ist daher die Stärkung der Beziehungen der EU zu ihren östlichen Partnern. So findet im November 2013 das dritte Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU und der östlichen Partnerschaft in Vilnius statt. Litauen und die östlichen Nachbarn erhoffen sich Fortschritte im Bereich der Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Georgien und Moldau. Litauen hat aufgrund seiner Lage und historischen Erfahrung eine besondere Sympathie für die neuen und werdenden Demokratien der östlichen Nachbarschaft. Besonders von der Situation in Weißrussland ist Litauen direkt betroffen. Die Grenze liegt nur 30 km von Vilnius entfernt und viele Intellektuelle aus Weißrussland leben in Vilnius im Exil.

Engere Beziehungen zu Europas östlichen Nachbaren sind aus Sicht der litauischen Ratspräsidentschaft wünschenswert und dürfen nicht von Befürchtungen einer Prädominanz Russlands in der Region überlagert werden. Gleichwohl darf eine engere Partnerschaft nicht auf Kosten von Demokratie und Grundrechten vorangetrieben werden.

Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite – resolute Krisenmanagerin als Brückenbauerin

Dalia Grybauskaite ist eine bewundernswerte Frau. Ihr Name ist Synonym für resolute Reformen und aufrichtige Politik. Während der Krise kürzte sie als allererstes ihr eigenes Gehalt um 40%. Nach ihrer Überzeugung liege die Verantwortung für die Lösung der Wirtschaftskrise bei den Mitgliedsstaaten, nicht in Brüssel. In Würdigung ihrer bedeutenden Verdienste um eine vertiefte Integration der Europäischen Union und die Bewältigung der aktuellen Krise erhielt sie dieses Jahr den Internationalen Karlspreis in Aachen.

Auch Grybauskaite ist bemüht, die Beziehungen zwischen der EU und ihren östlichen Nachbarn zu verbessern und auszubauen. Ob sie sich im Rahmen der östlichen Partnerschaft auch als Brückenbauerin bewährt, wird sich auf dem Gipfel der östlichen Nachbarschaft im November zeigen.

Litauen – Modell für erfolgreiches Krisenmanagement

Vor fünf Jahren, nach der Pleite von Lehman Brothers, breitete sich die globale Finanzkrise wie ein Lauffeuer auch im Baltikum aus. Der litauische Immobilienmarkt – künstlich aufgebläht durch skandinavische Billigkredite – stürzte zusammen. Viele Litauer verloren ihre Arbeitsplätze und konnten ihre Hypotheken und Kredite nicht mehr zurückzahlen. Die lettischen und skandinavischen Banken blieben auf einem Berg fauler Kredite sitzen. Die Wirtschaft schrumpfte in 2009 um 14,7% und die Arbeitslosigkeit erreichte in 2010 ein Maximum von 17,8%.

Die Regierung in Vilnius entschied sich angesichts der hohen Staatsverschuldung und der steigenden Ausgaben für ein drastisches Anpassungsprogramm. Harte Einschnitte im öffentlichen Bereich verbunden mit Steuererhöhungen sollen für eine schnelle Erholung der Wirtschaft und die Sanierung des staatlichen Haushaltes sorgen. Strukturelle Reformen, wie eine progressive Liberalisierung des Arbeitsmarktes, sollen durch Senkung der Arbeitskosten die Wettbewerbsfähigkeit Litauens stärken. Ähnliche Sparprogramme und Reformen wurden auch in den beiden Nachbarstaaten Lettland und Estland implementiert.

Laut litauischen Politikern besteht das Erfolgsrezept in einer raschen Konsolidierung – soziale Härten sollen auf einen kurzen Zeitabschnitt konzentriert werden. Diese Anpassungen seien schwierig und schmerzhaft, die Entwicklung zeige aber, dass mit dem wiederkehrenden Wachstum auch das Vertrauen in die Politik wiederkehrt.

So konnte auch die litauische Wirtschaft ab Ende 2009 wieder einen Wirtschaftsaufschwung vorweisen (5,9% im Jahr 2011). Die Arbeitslosenrate sank von 17,8% sukzessive auf 15,4% in 2011 und 13,8% in 2012.

Der wirtschaftliche Aufschwung Litauens ab 2011 ist größtenteils Ergebnis erfolgreicher Sparbemühungen und liberaler Reformen. Die Staatsverschuldung konnte gesenkt werden und die Wirtschaft erholte sich. Dies wäre jedoch ohne eine hohe Mobilität und niedrige Lohnkosten nicht möglich gewesen. Zwischen 2009 und 2010 stieg die Auswanderungsrate von 22.000 Personen auf 83.600 Personen, wobei sie im Jahr 2011 wieder auf 53.900 Personen sank4. Aufgrund des drastischen Anstiegs der Arbeitslosigkeit, verbunden mit den sozialen Auswirkungen des Sparprogrammes, entschieden sich viele junge Arbeitskräfte, anderswo ihr Glück zu suchen. So waren im Jahr 2010 55% aller Auswanderer zwischen 20 und 34 Jahre alt. Durch die Auswanderung junger qualifizierter Arbeitskräfte verschiebt sich das demografische Gleichgewicht, was für die litauische Wettbewerbsfähigkeit längerfristig problematisch sein könnte. Fraglich ist außerdem, ob ähnliche Sparbemühungen und Reformen in anderen Mitgliedsstaaten der EU mit niedrigerer Mobilität und starren Lohnstrukturen die gleichen Auswirkungen hätten.

Litauen – Erfolgsstory mit Einschränkungen

Litauen ist eine Erfolgstory. In nur 20 Jahren konnte es sich gemeinsam mit seinen baltischen Nachbarn vom Joch des Kommunismus befreien, der NATO beitreten und 2004 Mitglied der EU werden. Litauen dient daher seit seiner Unabhängigkeit und besonders während der jüngsten Wirtschaftskrise europaweit durch seine wettbewerbsfördernde Wirtschaftspolitik und tiefgreifende Reformen als liberaler Musterschüler und Modell für viele Länder in Europa – vor allem für verschuldete Staaten im Süden der EU und die Mitglieder der östlichen Partnerschaft.

Auf gesellschaftlicher Ebene haben liberale Werte jedoch nicht viel Gewicht. Litauen sorgte 2009 für internationales Aufsehen, als ein „Moralgesetz“ verabschiedet wurde, das die Diskriminierung von Homosexualität fördert5. Zwar lehnte Präsidentin Dalia Grybauskaite das Gesetz ab, jedoch sah sie sich verfassungsrechtlich gezwungen, es nach dem positiven Ausgang der Abstimmung im Parlament zu unterschreiben. Unter europäischen Liberalen wurde die rechtliche Nichtanerkennung Homosexueller und das Verbot, eine Gay Pride in Vilnius zu organisieren, stark verurteilt6. Die Allianz der Liberalen und Demokraten in Europa (ALDE) forderte Litauen konkret auf, die rechtliche Situation von Minderheiten zu verbessern.