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  • 22.05.2012 - 13:38 GMT

Hans-Böckler-Stiftung: Fiskalpakt macht willkürliche Vorgaben – IMK: Mehr Zeit zum Konsolidieren und glaubwürdige Schuldengarantie zur Rettung der Währungsunion

Fiskalpakt und permanenter Rettungsschirm werden dem Euroraum nicht aus seiner gegenwärtigen Vertrauenskrise helfen. Eine zeitliche Streckung der Konsolidierungsanforderungen, insbesondere in den südeuropäischen Krisenländern, und glaubwürdige Garantien für die Staatsanleihen der Euro-Staaten sind kurzfristig die zielführendsten Ansätze zur Rettung der Währungsunion. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

Anfang März verabschiedeten 25 EU-Staaten den Fiskalpakt als Kernstück ihrer Strategie zur Überwindung der Krise. Diesem Anspruch könne das Abkommen jedoch ebenso wenig wie der Rettungsfonds ESM gerecht werden, zeigt eine Analyse von Dr. Silke Tober. Die IMK-Expertin für Geldpolitik hat die EU-Pläne anlässlich einer Bundestagsanhörung eingehend geprüft. Ihr Fazit: Die derzeitige Krisenstrategie dürfte "dazu führen, dass ein Schuldenschnitt und ein Austritt aus der Währungsunion für einige Länder die attraktivere Option wird". Dies hätte auch für die im Euroraum verbleibenden Staaten gravierende Folgen.

Der Fiskalpakt sieht für Staaten mit einer Schuldenstandsquote von über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein jährliches strukturelles – also um konjunkturelle Einflüsse bereinigtes – Defizit von maximal 0,5 Prozent vor. Ländern mit einer niedrigeren Schuldenstandsquote wäre ein strukturelles Defizit von jährlich 1 Prozent erlaubt. Bei einem nominalen Wachstum von jährlich 3,5 Prozent würde langfristig ein Schuldenstand nahe 30 Prozent erreicht.

Doch: "In der Literatur gibt es keine Hinweise darauf, dass eine Schuldenstandsquote von 30 Prozent optimal ist", kritisiert die IMK-Forscherin. Nach den bereits bestehenden Regeln einer Schuldenstandsquote von maximal 60 Prozent wäre beispielsweise ein deutlich höheres strukturelles Defizit von jährlich zwei Prozent möglich. Tober empfiehlt als "weniger willkürliche und ökonomisch begründete Regel" die "Goldene Regel". Diese galt lange Zeit in Deutschland und besagt, dass das strukturelle Defizit die öffentlichen Investitionen nicht überschreiten darf – sprich: neue Schulden nur für Investitionen gemacht werden dürfen.

Die Umsetzung des Fiskalpaktes hingegen erlaube vielen Euroländern noch nicht einmal, höhere Schulden hinzunehmen, wenn sie in einer hartnäckigen Krise auf konjunkturbedingt geringere Steuereinnahmen und konjunkturbedingt höhere Ausgaben, beispielsweise für Arbeitslosengeldzahlungen, reagieren müssen. Als einziger Ausweg blieben dann weitere Budgetkürzungen, warnt die Wissenschaftlerin. Absehbare Folgen: Noch größere Steuerausfälle, womöglich eine Schwächung des Bankensystems und ein erneuter Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten.

Um derartige Abwärtsspiralen zu vermeiden, favorisiert das IMK eine zeitlich abgestimmte Finanzpolitik als bessere Möglichkeit: "Zwar muss konsolidiert werden, aber nicht in allen Ländern gleichzeitig, sondern zeitlich stärker gestreckt", erläutert Tober. "Die Krisenstaaten haben längst einen harten Konsolidierungskurs eingeschlagen. Das Problem ist, dass darunter ihre Konjunktur massiv leidet. Die wirtschaftlichen Einbrüche und die rapide steigende Arbeitslosigkeit konterkarieren die Sparbemühungen. Den Krisenländern mehr Zeit zu geben, um ihre Defizitziele zu erreichen, ist der Schlüssel, wenn man diesen Teufelskreis durchbrechen will." Zusätzlich empfiehlt Tober befristete Steuererhöhungen bei hohen Einkommen, um eine zügigere Rückzahlung der seit 2007 massiv gestiegenen Schulden zu ermöglichen.

Anders als der Fiskalpakt ist der permanente Rettungsschirm "Europäischer Stabilitätsmechanismus" – kurz: ESM – nach Analyse des IMK ein grundsätzlich zielführendes Instrument. Angesichts der ausstehenden Staatsverschuldung der Krisenländer sei er allerdings zu gering ausgestattet. Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien stehen insgesamt mit 3,5 Billionen Euro in der Kreide. Die veranschlagten potenziellen Rettungsmittel belaufen sich aber nur auf 800 Milliarden Euro, zeigen Tobers Berechnungen. "Eben aus diesem Grund muss ein Rettungsschirm ein unbegrenztes Einsatzvolumen haben", argumentiert die Wissenschaftlerin.

Sie empfiehlt den Euroländern, gemeinsam eine Garantie für die ausstehenden Staatsanleihen zu geben, zum Beispiel über den vom deutschen Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds: Staatsschulden, die 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, würden gemeinschaftlich garantiert, aber einzelstaatlich abgetragen. Durch die Rückgewinnung des Vertrauens würde die expansive Geldpolitik insbesondere in den Krisenländern stärker als bisher auf die Wirtschaft wirken und damit den restriktiven Impuls der Fiskalpolitik zumindest teilweise kompensieren. Sollten sich die Renditen der einzelstaatlich garantierten Schuldtitel nicht auf niedrigem Niveau angleichen, könnte die Europäische Zentralbank signalisieren, dass sie in den Markt für Staatsanleihen eingreift. "Im günstigsten Fall wäre ein tatsächlicher Einsatz von finanziellen Mitteln gar nicht erforderlich."