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Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit & Verbraucherschutz, Europäische Wertegemeinschaft, Partizipation & Zivilgesellschaft

IB | Geflüchtet nach Deutschland – Start in eine friedliche Zukunft

Im April 2015 stellte der Internationale Bund mit dem ersten Marienfelder Papier „Zukunft gestalten – Integration von Anfang an“ zum ersten Mal seine „Forderungen zur Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen für Geflüchtete“ zusammen. Das vorliegende „Marienfelder Papier II“ versteht sich als Ergänzung dieser Forderungen.

Wir schaffen das! Davon ist der IB überzeugt, und das belegt die Vielzahl der guten Erfahrungen, die Tag für Tag an vielen Orten in Deutschland gemacht werden. Die Integration der Menschen, die Zuflucht in Deutschland suchen, ist allerdings eine Aufgabe, die noch lange nicht abgeschlossen ist und die unser gemeinsames Engagement braucht.

Politische Hürden dürfen Integration nicht im Weg stehen

Wir müssen Menschen bei der persönlichen Integration mit individuellen Angeboten unterstützen und ihnen dabei helfen, Chancen zu erkennen und zu ergreifen. Gleichzeitig müssen die gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass keine zusätzlichen Hürden entstehen.

Menschen brauchen möglichst schnell Klarheit über ihren rechtlichen Status und ihre Perspektiven. Lange Wartefristen in unbestimmten Schwebezuständen sind für den/die Einzelne/-n zermürbend und müssen unbedingt verkürzt werden.

Die Ungleichbehandlung von Asylbewerber/-innen anhand ihrer Bleibeperspektive muss beendet werden. Sie ist ungerecht und kollidiert mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung.

Wir erwarten von den Bundesländern, dass Strukturen außerhalb von städtischen Metropolen so unterstützt werden, dass auch ländliche Orte für Menschen wieder attraktiver werden und Perspektiven bieten können.
Persönliche berufliche Chancen und wichtige soziale Netzwerke bestimmen i.d.R. die Akzeptanz des Wohnorts. Beide sind fundamental für eine gelingende Integration.

Geflüchtete und ihre Kinder müssen möglichst schnell gleichberechtigten Zugang zu allen Regelsystemen von Bildung, Arbeitsförderung, Gesundheit und sozialer Sicherung bekommen.

Insbesondere Geflüchtete mit spezifischem medizinischen und psychotherapeutischem Bedarf müssen flächendeckend möglichst schnell und den Anforderungen entsprechend – ggf. mit der Unterstützung durch Dolmetscher – Behandlung bekommen.

Soziale Integration braucht Strukturen

Die Integration Geflüchteter erfolgt Tag für Tag in vielen kleinen Schritten vor Ort. Umso wichtiger ist es daher, Strukturen auf lokaler Ebene zu stärken. Gute funktionierende, lokale Infrastruktur ist zugleich eine Bereicherung für die Einheimischen. Sie ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen bereit sind, Asylbewerber bei sich aufzunehmen und dass Verteilungskonflikte im Keim erstickt werden.

1. Zivilgesellschaft und Ehrenamt

Eine entscheidende Voraussetzung für Integration sind Begegnungen vor Ort, die Menschen zusammenbringen und dabei helfen, Vorurteile abzubauen, Ängste zu überwinden, Beziehungen zu knüpfen und den sozialen Zusammenhalt vor Ort zu stärken.

Alle politischen Ebenen müssen daran arbeiten, die Zivilgesellschaft zu stärken, die sich für die Integration Geflüchteter einsetzt und die sich ausländerfeindlichen Bewegungen entgegenstellt.

Ehrenamt braucht professionelle Strukturen, die Kontinuität sichern und Probleme auffangen können – und dazu brauchen wir Hauptamtliche.

Ehrenamtliche dürfen nicht dafür herangezogen werden, Mängel und Missstände in Behörden zu kompensieren.

2. Familie und Kinder

Die Familie ist für viele der Halt in einer fremden Umgebung. Sie spendet Kraft in einer schwierigen Zeit und bietet die Möglichkeit, fremde Eindrücke zu reflektieren. Andererseits belastet die Situation aus Flucht und Neuanfang auch die Familien. Gerade in den Familien müssen gemeinsam neue Rollenbilder erarbeitet werden, was nicht immer ohne Konflikte geschieht.

Die Familie ist geschützt durch das Grundgesetz und darf durch Auseinanderreißen oder Einschränkung des Familiennachzugs nicht gefährdet werden.

Sowohl Männer als auch Frauen brauchen spezifische Beratungsangebote, an die sie sich bei Familienkonflikten vertrauensvoll wenden können.

Kinder und Jugendliche müssen unabhängig von ihrer Bleibeperspektive von Anfang an die Möglichkeit bekommen, Kitas, Kindergärten und Schulen zu besuchen und wie einheimische Gleichaltrige an allen Aktivitäten vor Ort teilhaben zu können. Insbesondere die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe müssen für alle Kinder und Eltern gleichermaßen zugänglich sein.

Kinder müssen Kind sein können. Kinderschutz und Kinderrechte gelten für geflüchtete genauso wie für einheimische Kinder.

Jugendliche brauchen die Möglichkeiten, sich individuell ihren Interessen und Zukunftsplänen entsprechend zu bilden und weiterzuentwickeln. Dazu gehört ein möglichst barrierefreier Zugang zu Schule, zu außerschulischen Bildungsangeboten, zu beruflicher Bildung und zu Hochschulen.

3. Frauen stärken

Die spezifischen Fluchtgründe von Frauen, die Gefahren und Risiken, denen sie auf der Flucht ausgesetzt sind und die Integrationshindernisse, mit denen sie nach ihrer Ankunft konfrontiert sind, bedürfen besonderer Aufmerksamkeit.

Besonders Frauen brauchen Ansprechpartnerinnen, an die sie sich im Vertrauen wenden können und die ihnen bei Fragen, auf die sie in ihren Familien keine Antwort finden, weiterhelfen können.

Frauen brauchen die Möglichkeit, sich in geschütztem Rahmen mit anderen geflüchteten und einheimischen Frauen auszutauschen.

Sprachkurse, Weiterbildung und Arbeitsmarktzugang sind für Frauen jeden Alters essenziell, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Frauen mit Gewalterfahrung und Opfer von Menschenhandel und Vergewaltigung benötigen Schutz und besondere Angebote, die ihnen dabei helfen, ihre Erlebnisse zu verarbeiten.

Vor allem alleinreisende Frauen müssen in Unterkünften flächendeckend vor Übergriffen und sexualisierter Gewalt geschützt werden.

4. Zugang zu Sprache

Der Zugang zur deutschen Sprache ist der Schlüssel für die berufliche und soziale Integration vor Ort – unabhängig von Alter, Geschlecht, Aufenthaltsstatus oder Bleibeperspektive. Auch bei einer relativ kurzen Aufenthaltsdauer in Deutschland ist Sprache unabdingbar, um sich vor Ort zurechtzufinden.

Geflüchtete benötigen Zugang zu passgenauen, ohne Hürden erreichbaren, ausreichenden und qualitativ hochwertigen Sprachlernangeboten.

Berufsbezogene Sprachkurse müssen in ausreichender Anzahl, angepasst an die spezifischen Bedarfslagen verschiedener Zielgruppen, vorhanden sein.

Berufs- und ausbildungsbegleitende Sprachkurse müssen ausgebaut werden.

5. Arbeit und Qualifizierung

Arbeit und Qualifizierung sind die Voraussetzungen für eine möglichst schnelle Unabhängigkeit von staatlichen Leistungen.

Geflüchtete kommen mit verschiedenen Voraussetzungen. Deshalb sind passgenaue Angebote gefordert, die die Qualifikationen und individuellen Pläne der Geflüchteten berücksichtigen. Dazu gehören individuell abgestimmte Aus- und Weiterbildungsangebote, die mit entsprechender Sprachförderung kombiniert werden, genauso wie Studienplätze an Hochschulen und Universitäten.

Schnelle Anerkennung von Abschlüssen und Übernahme der Kosten sind notwendig, um unnötige Wartezeiten zu verhindern.

Einfache Verfahren zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und gesicherte Bleibeperspektiven machen es für Arbeitgeber einfacher, Geflüchtete einzustellen. Kleine und mittelständische Betriebe brauchen darüber hinaus unbürokratische Unterstützungsangebote für die Integration Geflüchteter in ihre Unternehmen.

Individuelle Beratungen, Coachings und Informationen über den deutschen Arbeitsmarkt helfen Geflüchteten, ihre eigenen Zukunftsperspektiven zu entwickeln.

6. Wohnen

Schlechte Wohnverhältnisse bergen Risiken für alle Beteiligten. In beengten Wohnverhältnissen entstehen Aggressionen, Gewalt, Kriminalität und gesundheitliche Gefahren für die Bewohner/-innen und Mitarbeiter/-innen.

Sowohl in Erstaufnahmeeinrichtungen als auch nach der Verteilung auf die Kommunen müssen menschenwürdige Wohnverhältnisse gegeben sein. Anzustreben ist noch immer die Unterbringung in dezentralen Wohnungen. Wo dies nicht zu realisieren ist, muss die Unterbringung in Notunterkünften so kurz wie möglich sein.

Gemeinschaftsunterkünfte brauchen bindende Mindeststandards. Dazu gehören ausreichend Platz für Familien und Einzelpersonen, Privatsphäre, hygienische sanitäre Anlagen, Küchen und Gemeinschaftsräume, in denen sich die Bewohnerinnen und Bewohner begegnen können und in denen eine gute Einbindung in das Umfeld ermöglicht wird.

Professionelle sozialpädagogische Ansprechpartner, die bei Fragen und Problemen verfügbar sind, bei der Kommunikation mit Behörden und Ärzten helfen und in Streitfragen vermitteln, sind für das Funktionieren des Zusammenlebens essenziell. Kompetente Beratungsangebote hinsichtlich beruflicher und sozialer Integration sowie bezüglich des Asylverfahrens genauso wie Dolmetscher und Sprachmittler müssen flächendeckend nahe der Unterkünfte verfügbar sein.

Gemäß der EU-Aufnahmerichtlinie müssen Minderjährige, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Beeinträchtigungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, besonders geschützt werden.

In Regionen mit angespannter Wohnungsmarktsituation muss möglichst schnell neuer Wohnraum mit sozialverträglichen Mieten für alle geschaffen werden. Dabei muss darauf geachtet werden, dass es nicht zur „Ghettobildung“ kommt und neue Wohnquartiere durch geeignete Architektur und soziale Angebote ein lebendiges, gesundes soziales Gefüge fördern.