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IW | Europäische Wettbewerbsfähigkeit: Potenziale nutzen, um nachhaltig zu wachsen

Die Position der EU als globale wirtschaftliche Großmacht ist zunehmend gefährdet. Dies ist zum einen Folge der Krisen, denen sich vor allem die EU in den letzten zwei Dekaden gegenübersah. Insbesondere zu nennen sind die weltweite Finanzkrise (2007-2009), die Eurokrise (2010-2012), die Flüchtlingskrise (2015-2016), der Brexit (2016-2020), die Corona-Pandemie seit 2020 und der Krieg in der Ukraine ab 2022.

Zum anderen haben sich jedoch auch die globalen Wettbewerber, vor allem die USA und China, bei einer Reihe relevanter Wettbewerbsfaktoren von der EU absetzen können. Der Anteil der EU am weltweiten Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten Jahren gesunken, weil andere Staaten schneller gewachsen sind. Die USA verzeichnen selbst mit ihrer geringeren Bevölkerung als die EU einen größeren Anteil an der weltweiten Wirtschaftsleistung. Die Volksrepublik China befindet sich seit 1999 in einem stetigen Aufholprozess bei der Wirtschaftsleistung pro Kopf. Sie startete bei rund acht Prozent des US-amerikanischen Niveaus und lag im Jahr 2020 bei rund 27 Prozent.

Diese Beobachtungen werden komplementiert durch die vergleichende Betrachtung der Konsumausgaben der privaten Haushalte, die in den USA und China deutlich stärker gewachsen sind als in der EU. In der EU wird deutlich weniger investiert als in den anderen betrachteten Weltregionen. Das wirft die Frage nach der Standortqualität der EU auf und wie sie sich im internationalen Wettbewerb um Investitionen besser aufstellen kann. Die relevanten Indikatoren bei der Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit der EU sind die Qualität staatlicher Strukturen und Infrastrukturen, das verfügbare Wissen, der Zugang zu natürlichen und finanziellen Ressourcen, die Kostenstrukturen und Größe sowie Kaufkraft des Marktes. Der Analysefokus bei der Standortqualität liegt dabei auf der Industrie, der eine besondere Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und die Investitionsdynamik der europäischen Volkswirtschaften zukommt. Der IW-Standortindex, der die industrielle Standortqualität für 45 Industrie- und Schwellenländer betrachtet, zeigt deutlich, dass die USA insgesamt der attraktivere Investitionsstandort im Vergleich mit Europa sind. Überdurchschnittlich groß ist der Abstand bei der Verfügbarkeit von natürlichen und finanziellen Ressourcen. Der Zugang zu günstigen Rohstoffen wie Energiequellen ist ein wichtiger, schwer einzuholender Standortfaktor für die USA, aber der chronische Rückstand Europas bei der Unternehmensfinanzierung und bei Fachkräften könnte behoben werden.

Ein ähnliches Bild zeichnet auch der „International Digital Economy and Society Index (I-DESI) der Europäischen Kommission. Bei den fünf untersuchten Faktoren, Konnektivität, digitale Fähigkeiten, Internetnutzung, digitale Technologie und öffentliche digitale Dienstleistungen schneidet die EU im Durchschnitt deutlich schlechter ab, als die USA und liegt nur noch knapp vor China.

Um den Anschluss an die Weltspitze im industriellen Bereich, aber auch bei der Beherrschung wichtiger digitaler Schlüsseltechnologien zu halten, müssen bestehende Potenziale gehoben werden. So kommt eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments zum Schluss, dass mit Hilfe der Europäischen Union noch mehr als 2,2 Billionen Euro Potenzial bei der Wirtschaftsleistung gehoben werden kann. In Anbetracht der unterdurchschnittlichen Entwicklung der Wirtschaftsleistung der EU27-Staaten im Vergleich zu den USA und der Welt darf nicht auf die Nutzung dieses Potenzials und den Ausbau des digitalen Binnenmarkts im Besonderen, verzichtet werden. Der Zugang zu natürlichen Rohstoffen bleibt ein fundamentaler Nachteil der EU und gestaltet sich, auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, zunehmend schwierig. Hier müssen die EU und ihre Mitgliedsstaaten prioritär aktiv werden, strategische, einseitige Interdependenzen verringern und Diversifizierungsmöglichkeiten für Unternehmen unterstützen.

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