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Europakommunikation, Partizipation & Zivilgesellschaft

Nachgefragt bei… Clara Föller

Mit dem Format „Nachgefragt bei“ kommen regelmäßig europapolitische Stimmen in Form eines Kurzinterviews zu Wort. Heute heißt es: Nachgefragt bei… Clara Föller, Vorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) Deutschland.

In 26 Tagen ist Bundestagswahl. Welche Rolle sollte Europapolitik in den finalen Wochen des Wahlkampfs und für die Wahlentscheidung spielen?

„Bundestagswahlen sind auch Europawahlen, weil Europäische Politik nicht nur in den EU-Institutionen in Brüssel, sondern eben auch in Gemeindevertretungen, Landesregierungen und im Bundestag gemacht wird. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen vor denen wir gemeinsam als Europäer*innen stehen, werden die kommenden Jahre richtungsweisend für die Zukunft Europas sein. Schon heute müssen wir uns also die Frage stellen, wie wir uns eben diese Zukunft vorstellen und welchen Beitrag wir leisten müssen, damit dieser Zukunftsvorstellung Realität wird. Als bevölkerungsreichstem Mitgliedstaat kommt Deutschland dabei eine besonders verantwortungsvolle Rolle zu, die zu gestalten in der Hand der zukünftigen Mitglieder des Bundestags und der Bundesregierung liegen wird. Es ist daher von größter Bedeutung, dass die Bundestagskandidat*innen selbst sich dieser Verantwortung bewusst werden und erkennen: Europas Zukunft liegt in ihrer Hand!

Damit Wähler*innen eine fundierte Wahlentscheidung treffen können, ist es wichtig, dass die Parteien klar kommunizieren welche Ideen sie selbst für die Zukunft Europas haben und welche konkreten Maßnahmen sie in den nächsten Jahr angehen wollen. Es ist sehr schön und begrüßenswert, dass sich die allermeisten Parteien in ihren Wahlprogrammen klar für ein demokratischeres und stärkeres Europa bekennen. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen vor denen Europa aber aktuell steht – Klimakrise, eine fehlende gemeinsame Asyl- und Migrationspolitk, ungenügende außenpolitische Handlungsfähigkeit, erodierende demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien – braucht es mehr: wie festigen wir den Schutz demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien in der EU und wie gehen wir mit Ländern wie Polen oder Ungarn um, die sich der Europäischen Definition eines Rechtsstaats nach eigener Aussage nicht länger verpflichtet fühlen? Wie erreichen wir schnelle und handlungsfähige Antworten, die zwar einzelne Mitgliedstaaten nicht völlig übergehen, sich aber auch nicht von ihnen erpressen lassen? Wie lässt sich Europäische Solidarität nachhaltig stärken, damit ein Zurückfallen in nationale Denkmuster, wie anfangs der Coronakrise geschehen, verhindert wird? Es sind Fragen wie diese, auf die wir in den kommenden Jahren dringend eine Antwort geben müssen. Gelingt uns das nicht, droht die EU noch weiter (als ohnehin schon) an Glaubwürdigkeit zu verlieren, die wiederherzustellen nicht leicht sein wird.“

Welche europapolitischen Prioritäten sollte die neue Bundesregierung setzen?

„Die EU ist mehr als eine internationale Organisation. Sie ist eine politische Entität in der längst Entscheidungen getroffen werden, die unser aller Leben maßgeblich beeinflussen. Diese Entscheidungen müssen stärker demokratisch legitimiert werden. Schon jetzt gibt es verschiedene Ideen dazu, die nicht nur seit Jahren und Jahrzehnten von Verbänden und Vereinen lautstark gefordert werden, sondern derzeit auch zu den auf der digitalen Plattform der Konferenz zur Zukunft Europas favorisiertesten Ideen zählen. Forderungen wie die nach der Einführung des Initiativrechts für das Europaparlament, nach einem einheitlichen europäischen Wahlrecht und der Verbindlichmachung des Spitzenkandidatenprinzips, zeigen: Europäische Bürger*innen wollen stärker eingebunden werden. Indem wir im September wählen gehen, nehmen wir einmal mehr als überzeugte Demokrat*innen eine unserer höchsten Pflichten wahr: eine Stimme abzugeben bedeutet mitzuentscheiden und mitzugestalten und letztlich, Europa zu machen. Da deutsche Europapolitik aber auf mehreren Ebenen stattfindet, bedarf es bereits auf Bundesebene klarer Verantwortungsstrukturen und einer besseren gesellschaftlichen und parlamentarischen Mitwirkung in der deutschen Politik. Dazu gehört auch, die Mitwirkung und Mitgestaltung deutscher Politik auf europäischer Ebene transparenter und dadurch für die Wähler*innen zugänglicher zu machen.

Auf EU-Ebene liegt das derzeitige Machtzentrum der politischen Entscheidungsfindung beim Ministerrat. Hier sind nicht die Abgeordneten des Europaparlaments involviert, sondern die je nach Ratssitzung zuständigen Minister*innen der einzelnen Mitgliedstaaten. Es sind die großen Themen, die nach transnationaler europäischer Zusammenarbeit verlangen, die hier diskutiert und verabschiedet werden. In diesen Formaten hat die Bundesregierung in der Vergangenheit oft die Rolle des Motors und der Moderatorin wahrgenommen, ein Aufgabenprofil, das auch zukünftig das deutsche Engagement beschreiben sollte. Im Bereich Klimapolitik beispielsweise gilt es, die bisher beschlossenen Maßnahmen schnellstmöglich umzusetzen aber auch auszuweiten. Nach dem jüngsten Klimabericht der UN wird es schwer, das 2 Grad Ziel zu erreichen. Welche dramatischen Auswirkungen das weltweit aber auch in Europa hat, zeigten die Bilder der Flutkatastrophen, Waldbrände und anhaltenden Dürren überdeutlich. Europa muss schnellstmöglich zu einem klimaneutralen Kontinent werden und etwa den European Green Deal als Chance zu begreifen. Dabei muss auch Deutschland klar zu seinen Absprachen stehen und den nationalen Aktionsplan umsetzen.

Besonders dringend ist zudem das Thema Asyl und Migration: es ist mittlerweile zur traurigen Realität geworden, dass Menschen an den EU-Außengrenzen tagtäglich sterben oder gewaltsam zurückgedrängt werden oder wie beispielsweise in Moria unter menschenunwürdigen Zuständen auf die Bearbeitung ihres Asylantrags warten. Versuche das unzureichende Asylsystem zu reformieren und aktuellen Gegebenheiten anzupassen, scheiten seit über sechs Jahren am Widerstand einzelner Mitgliedstaaten. Zwar sollte die Bundesregierung weiterhin daran festhalten, mittelfristig einen Kompromiss zu finden, der alle Mitgliedstaaten miteinschließt. Gleichzeitig braucht es auch kurzfristige Maßnahmen, die das Wohlergehen der Menschen in den Mittelpunkt stellen und schnell und unbürokratisch Hilfe leisten.

Europa muss sich sowohl nach innen als auch nach außen als Patronin demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien und Werte etablieren und sich gegenüber Partnerländern- und organisationen als zuverlässige und integre Partnerin beweisen. Es ist in der Mitverantwortung Deutschlands, die EU hier handlungsfähiger zu machen und gegebene Formate, wie die Konferenz zur Zukunft Europas als Ort des Gestaltens zu begreifen.“

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