Nachgefragt bei… Dr. Christian Hagemann
Mit dem Format „Nachgefragt bei“ kommen regelmäßig europapolitische Stimmen in Form eines Kurzinterviews zu Wort. Heute mit Dr. Christian Hagemann, Geschäftsführer der Südosteuropa-Gesellschaft e.V., der mit uns über den Annäherungsprozess des Westbalkan im Rahmen des Berliner Prozesses sprach.
Wie bewerten Sie die Ergebnisse des Westbalkan-Gipfels, der letzte Woche im Rahmen des Berliner Prozesses in der Bundeshauptstadt stattfand?
Der Westbalkan-Gipfel der letzten Woche in Berlin hat unterstrichen, dass es der Bundesregierung ernst ist mit ihrem verstärkten Fokus auf die Region. Konkret haben sich die Länder dazu verpflichtet, gegenseitig Berufs- und Hochschulabschlüsse anzuerkennen sowie das Reisen mit Personalausweisen zwischen den Westbalkan-Staaten zu ermöglichen. Dies ist ein großer Schritt, galt bis zuletzt beispielsweise zwischen Bosnien und Herzegowina und Kosovo noch Visumspflicht. Genau solche konkreten Schritte sind wichtig, um den Menschen der Region zu zeigen, dass es Fortschritte und Verbesserungen geben kann und dass die EU-Staaten sie hierbei tatkräftig unterstützen.
Wie bringen Sie sich als Südosteuropa-Gesellschaft in den Berlin Prozess und die EU-Beitrittsgespräche mit den Westbalkanstaaten ein? Welche besondere Rolle haben gesellschaftliche Kräfte?
Stimmen aus der Region in Deutschland Gehör zu verschaffen ist der Südosteuropa-Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten ein Anliegen. Zum zweiten Mal in Folge durften wir in diesem Jahr, gemeinsam mit dem Aspen Institute Germany und unterstützt durch das Auswärtige Amt, das den Westbalkan-Gipfel flankierende Zivilgesellschaftsforum ausrichten. Hier boten wir NGOs aus der Region eine Plattform, Ihre Ideen und Vorschläge zu den Themen des Gipfels zu diskutieren. Gesellschaftliche Kräfte spielen für den Reformprozess in der Region eine zentrale Rolle: Sie kontrollieren ihre Regierungen, bringen Ideen ein und agieren als Stimme der Bürgerinnen und Bürger, was angesichts oft niedriger demokratischer Standards besonders wichtig ist.
Wo sehen Sie den Annäherungsprozess des Westbalkan in fünf Jahren? Welche Hürden müssen noch für einen zeitnahen EU-Beitritt genommen werden?
In fünf Jahren sollte der Erweiterungsprozess wieder das Momentum bekommen haben, welches er in den Nullerjahren vor der ersten Osterweiterung hatte. Das bedeutet, dass in den Ländern der Region stärkerer politischer Wettbewerb als heute herrscht, bei dem aber alle Lager in Richtung EU-Beitritt an einem Strang ziehen. Darüber hinaus sollte die EU sich auf den Weg gemacht haben, durch interne Reformen die Voraussetzungen für eine Union mit 35 oder 36 Mitgliedstaaten zu schaffen. In fünf Jahren sollten wir klar sehen können, dass der Angriff des Kremls auf unsere Freiheit als Weckruf wahrgenommen und mit einer starken europäischen Stimme beantwortet wurde.