Nachgefragt bei… Peter Adrian
Mit dem Format „Nachgefragt bei“ kommen regelmäßig europapolitische Stimmen in Form eines Kurzinterviews zu Wort. Heute heißt anlässlich des 30. Jubiläums des EU-Binnenmarktes: Nachgefragt bei … Peter Adrian, Präsident der DIHK.
Herr Adrian, in diesem Jahr feiert der EU-Binnenmarkt 30-jähriges Jubiläum. Wie bewerten Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage der EU im internationalen Vergleich, vor allem in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit?
Der EU-Binnenmarkt ist in Bezug auf unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit jedenfalls eine unserer Stärken. Wenn Sie sich vorstellen, jedes einzelne EU-Mitgliedsland müsste allein auf der Welt auftreten, dann hätten wir ganz sicher mehr Probleme. Der gemeinsame Markt in Europa, auch wenn er nach 30 Jahren noch nicht vollkommen ist, ist eines der wichtigsten Elemente, das uns Europäer auf Augenhöhe hält mit anderen großen Wirtschaftsräumen – etwa den USA und China. Aber wir müssen mit den Rahmenbedingungen unseres gemeinsamen Marktes auch in der Welt konkurrenzfähig sein. Und da liegen aktuell die großen Herausforderungen: Wenn wir bei den Energiepreisen ein sehr hohes Level haben, sollten wir uns nicht zugleich die komplizierteste Bürokratie leisten.
Deutschlands Wohlstand ist eng verknüpft mit dem europäischen Binnenmarkt. Warum glauben Sie, dass die Errungenschaften des EU-Binnenmarktes in der Öffentlichkeit so wenig Beachtung finden?
Ich selbst komme aus einer grenznahen Region und kann mich auch noch gut an die Zeit vor dem EU-Binnenmarkt erinnern. Freier Handel, freier Grenzübertritt, mir selbst sind diese positiven Errungenschaften täglich bewusst. In der Öffentlichkeit nimmt man sie aber als solche kaum noch wahr, diese Freiheiten sind fast selbstverständlich geworden. Wir müssen für diese Errungenschaften werben, sie immer wieder aufs Neue verteidigen – denn nicht nur der deutsche Wohlstand beruht auf der Entwicklung des EU-Binnenmarktes. Die hohe Bedeutung des Binnenmarkts kann jeder auch an den gravierenden negativen wirtschaftlichen Folgen des Brexit für die Menschen auf der Insel ablesen.
Werfen wir einen Blick auf die Zukunft des EU-Binnenmarkts: Welche sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Herausforderungen im europäischen Wirtschafts- und Industriesektor?
Es bestehen nach wie vor substanzielle bürokratische Hürden innerhalb des Binnenmarktes, gerade im Bereich der grenzüberschreitenden Dienstleistungen. Daher ist es eine wichtige Aufgabe, das Funktionieren des Binnenmarktes weiter zu verbessern. Parallel dazu brauchen Unternehmen in der EU in der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation weniger Vorgaben und mehr Rückhalt. Bei Nachhaltigkeitsthemen wie dem Schutz des Klimas, der natürlichen Ressourcen und der Menschenrechte zum Beispiel wollen sich die Unternehmen einbringen. Das sehen wir in unseren Umfragen. Es ist aber wichtig, bei der Umsetzung viel stärker die Perspektive und Erfahrungen der betrieblichen Praxis zu berücksichtigen. Denn vieles könnte besser und schneller laufen. Hier geht mein Appell auch an alle Entscheiderinnen und Entscheider in Brüssel und Straßburg: Trauen Sie den Unternehmen mehr zu! Europa kann nur erfolgreich sein, wenn wir Tüftlern ihren Spielraum lassen, Erfinderinnen ermutigen und Unternehmen mehr Neues ausprobieren dürfen. Denn der Wettbewerb der Ideen bringt auch bei Nachhaltigkeitszielen die besten Lösungen. Und tragfähige Erfolge stellen sich nur dann ein, wenn die EU wieder stärker auch wirtschaftliche Aspekte im Blick hat.