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EU-Erweiterung, Außen- & Sicherheitspolitik, Europäische Wertegemeinschaft, Partizipation & Zivilgesellschaft

Nachgefragt bei… Yevgenia Belorusets

Mit dem Format „Nachgefragt bei“ kommen regelmäßig europapolitische Stimmen in Form eines Kurzinterviews zu Wort. Anlässlich des Internationalen Frauentags morgen heißt es diesmal: Nachgefragt bei… Yevgenia Belorusets, Künstlerin, Autorin, Aktivistin und diesjährige Gewinnerin des Preis Frauen Europas 2023.

Foto: Olga Tsybulska

Als in Berlin und Kyiv lebende Künstlerin, Autorin und Aktivistin haben Sie im Februar 2022 den Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine miterlebt. Wie überraschend kam für die ukrainische Bevölkerung dieser Angriff?

„Der Angriffskrieg Russlands begann im Jahr 2014 mit der Annexion der Krim und den Angriff auf Donbass. Und doch versuchten sehr viele Ukrainer alle diese Jahre so zu leben, als ob die weitere Eskalation unvorstellbar war. Ich war auch unter den Menschen, die mit einer Beunruhigung die Nachrichten verfolgten und doch bis zum letzten Moment dachten, der größere Krieg, der auch für den Aggressor suizidal sein wird, kann nicht anfangen. Wenn wir zurückblicken werden, wird es schnell klar, die friedliche Politik gehörte zum Fundament der politischen Erziehung und Identität in der Ukraine. Die schrecklichen und tragischen Erfahrungen des zweiten Weltkrieges gehörten zu der kollektiven Erinnerungskultur und man hat Russland als einen Nachbarn mit tiefen kulturellen und familiären Verbindungen gesehen. Die Besonderheit dieses Krieges, – es ist ein Angriff auf ein Land, dass eigentlich freundschaftlich gegenüber Russland gerichtet war.“

Spätestens seit den Protesten auf dem Maidan 2014 strebt die Ukraine nach einer Zukunft in der EU und musste zugleich durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und den Krieg in der Ostukraine unter immer stärkerer Aggression Russlands leiden. Welche besondere Rolle spielen die Frauen in der Ukraine und hat sich ihre Rolle, Ihrer Meinung nach, im Land durch diese Geschehnisse gewandelt?

„Die ganze Gesellschaft veränderte sich rasch unter dem Druck der ständig wachsenden äußeren Gefahr und Aggression. Und die Menschenrechte als etwas, was man unbedingt für sich erkämpfen muss, waren mit jeder großen Protestbewegung mehr und mehr anerkannt, gesehen in der Ukraine. Ich denke, der Krieg, wo auch viele Frauen als Soldatinnen und Leiterinnen von militärischen Handlungen teilnehmen und sichtbar sind, zeigt, dass in der ukrainischen Gesellschaft die Idee der Gleichberechtigung von Frauen und Männern wichtig ist. Man versucht immer neue institutionelle Schritte in diese Richtung zu machen. Mitten im Krieg, am 20. Juni 2022 war die Istanbul-Konvention von der Ukraine ratifiziert, die uns unterstützen wird auf die Gewalt gegen Frauen rechtlich zu reagieren. Es liegt aber ein langer Weg vor uns. Der Krieg stellt alle empfindlichen Gruppen der Gesellschaft in größere Gefahr und schlägt täglich gegen die, die am wenigsten geschützt sind.“

Warum ist die Unterstützung der europäischen Öffentlichkeit und der Politik für die Ukraine so wichtig in diesem russischen Angriffskrieg, und ist das bisherige Handeln der EU und ihrer Mitgliedstaaten ausreichend?

„Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht nur ein „ukrainischer“ Krieg ist. Der ganze europäische Kontinent ist destabilisiert. Es ist ein Krieg eines autoritären diktatorischen politischen Systems gegen die Menschenrechte und die freie Gesellschaft. Um weiter zu regieren und die eigene Bevölkerung zu kontrollieren führt Russland einen barbarischen Angriffskrieg, in dem zusammen mit der Ukraine die internationale Sicherheit, das Völkerrecht an sich, zu den Angriffszielen geworden sind. Ja, ich denke, dass die Ukraine nicht genug unterstützt wurde. Es war mehr Hilfe notwendig. Aber langsam wachen andere Staaten auf und verstehen, dass die Verbrechen Russlands wirklich gestoppt werden müssen.“

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