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Bildung, Jugend, Kultur & Sport, Partizipation & Zivilgesellschaft

So vielfältig wie Europa selbst – das Fachforum Europa 2014

„Europe – do it yourself!“ – unter diesem Motto kamen vom 24. bis zum 25.2.2014 etwa 140 Fachleute der europabezogenen Jugendbildungsarbeit in Berlin zusammen. Bereits zum 8. mal fand das Fachforum Europa statt, das von der Agentur JUGEND für Europa, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Europäischen Bewegung Deutschland und wechselnden Stiftungen organisiert wird.

Viele der Teilnehmer sind in jedem Jahr dabei, bietet das Fachforum Europa doch nicht nur die Gelegenheit zum Netzwerken, sondern auch immer neue innovative Impulse für die Arbeit mit Jugendlichen zum Thema Europa. In diesem Jahr ging es anlässlich der Europawahl darum, wie junge Menschen sich aktiv in die europäische Politik einbringen können. Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Gastgeber Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, der dem Fachforum in diesem Jahr die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hatte. Im Anschluss begrüßte Christian Moos, Vorstandsmitglied der Europäischen Bewegung Deutschland, die Anwesenden im Namen aller Veranstalter.

Die inhaltliche Debatte des diesjährigen Fachforums eröffnete mit einem lebendigen Impulsvortrag Gerald Häfner, Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament. Seine Rede geriet zu einem flammenden Plädoyer für mehr Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene. Vielen erscheine Europa weit weg, dabei sei jeder Einzelne auf kommunaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene gleich wichtig für die Weiterentwicklung der europäischen Idee. Auch wenn die Europäische Union aktuell noch in erster Linie auf zwischenstaatlicher Ebene gestaltet werde, müsse man dringend den politischen Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf die europäische Politik stärken. Nur so könne man den Menschen bewusst machen, dass „wir alle Europa sind“. Das Europäische Parlament, als Stimme der europäischen Bürger, müsse gestärkt werden, eine breite Debatte über eine mögliche europäische Verfassung müsse initiiert werden – und zwar unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Dies setzte der erfahrene Europapolitiker sogleich in die Tat um und diskutierte lebhaft mit den anwesenden Jugendbildnern über europäische Politik.

Nach der Eröffnungsdebatte bot das Fachforum Raum zum Netzwerken. An Pinnwänden waren berufliche „Steckbriefe“ aller Teilnehmer ausgehängt und in der Lobby kam man an runden Tischen zusammen, tauschte sich über die persönlichen und beruflichen Hintergründe aus und knüpfte so neue Kontakte. Nach dem Mittagessen begann dann die intensive inhaltliche Arbeit in vier verschiedenen Workshops.

Die Europäische Bürgerinitiative

Um Partizipation in Reinform drehte sich der erste der vier angebotenen Workshops. Mirko Schwärzel vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement moderierte die Arbeitsgruppe „Die europäische Bürgerinitiative als Instrument für mehr Beteiligung in Europa!?“. Durch die Vorstellung von zwei bereits abgeschlossenen Europäischen Bürgerinitiativen (EBI) wurde das mit dem Vertrag von Lissabon 2009 eingeführte Instrument  lebensnah veranschaulicht. Prisca Merz, von der EBI „End ecocide in Europe“ und Ole Borgard, aus der ver.di Bundesverwaltung, die die „right2water„-Kampagne unterstützt, berichteten von Mobilisierungspotentialen und Kinderkrankheiten der EBI. Als Hauptprobleme wurden die unterschiedlichen nationalen Hürden und die fehlende europäische Dimension der Bürgerinitiative genannt – zwar müssen sich mindestens sieben Länder beteiligen, jedoch sind die Zugänge jeweils national geregelt. Doch auch in der Kommunikation kann man schwer von einem gesamteuropäischen Instrument sprechen – es sei vielmehr so, dass es 28 nationale statt einer europäischen Kampagne gäbe. Überdies wurde von beiden Campaignern die Laufzeit von einem Jahr für die grenzüberschreitende Kommunikation als zur kurz eingeschätzt, da zu Beginn eine sehr große Übersetzungsleistung anstünde. Im Workshop wurde intensiv und kontrovers diskutiert, inwieweit die EBI geeignet sei, das Demokratiedefizit der EU abzubauen. Unterm Strich wurden anhand der beiden Initiativen vor allem eines deutlich – ohne eine breite mediale Berichterstattung und die professionelle Unterstützung durch die organisierte Zivilgesellschaft kann eine Europäische Bürgerinitiative kaum erfolgreich sein.

Europa online gestalten

Auf großes Interesse stieß der Workshop „Europa online gestalten – Beteiligung in der digitalen Demokratie“ von Dr. Mayte Peters. Die Initiatorin des Debattenportals „Publixphere e.V.“ stellte verschiedene Möglichkeiten vor, wie sich junge Menschen online an europäischer Politik beteiligen können. Neben Debattenportalen wie www.debatingeurope.de, Onlinepetitionsportalen wie www.wepromise.eu oder Voting Tools wie beispielsweise www.myvote2014.eu empfahl sie auch europapolitische Blogs wie den von Jon Worth oder die Social Media Profile von MdEPs als gute Instrumente für die aktive Kommunikation mit europäischen Meinungsmachern und Entscheidungsträgern. Unter den anwesenden Experten der Jugendbildungsarbeit entstand eine intensive Debatte über die Risiken des Internets für Jugendliche. Fehlt nicht die Beziehungsarbeit, wenn Jugendliche sich im Internet engagieren, „entgleiten“ sie hier nicht der sozialen Betreuung, fragten sich viele erfahrene Akteure. Und lässt sich Europa nicht am besten durch echte Erfahrung, durch das Reisen und den interkulturellen Austausch verstehen – Dinge, die das Internet nur virtuell simulieren kann? Andere erkannten durchaus die Vorteile von Onlineangeboten, vermissten aber noch spezielle Tools für Kinder oder beispielsweise die Öffnung von eTwinning für die nonformale Jugendbildung. Fazit des Workshops war, dass die Medienpädagogik und die Jugendsozialarbeit in hohem Maße voneinander profitieren können und daher künftig enger zusammen arbeiten sollten.

Endstation Wahlzettel?

Der sicherlich leichteste Weg Europa mitzugestalten, ist die Wahl des Europaparlamentes. Warum aber schaffen es die Parteien so schlecht, junge Menschen zur Beteiligung aufzurufen? Im Workshop „Endstation Wahlzettel? – Parteien als Forum europapolitischer Gestaltung“ konnten die Teilnehmer einen Eindruck davon bekommen, in welchem Kräfteverhältnis sich der Dreiklang „Parteien – Jugend – Europa“ bewegt. Nachdem das Internet als Schlüssel für die Kommunikation mit jungen Menschen definiert wurde, diskutierten die Workshop-Teilnehmer unter Leitung von Malte Zabel, Zentrum für Europäische Integrationsforschung, die aktuellen Internetauftritte der Parteien zum Thema Europa. Zwar nutzen alle Parteien Facebook – die Volkparteien sogar mit eigens dafür eingestelltem Personal – jedoch lassen die Homepages aller Parteien in Bezug auf Jugendkompatibilität zu wünschen übrig. Weder sprachlich, gestalterisch noch inhaltlich treffen sie den Nerv junger Leute. Fließtext, wenig aussagekräftige Bilder, keine Interaktionsmöglichkeit – die Jugendlichen werden hier nicht angesprochen, geschweige denn für Europa begeistert. Einzig die Europaseite der Grünen gibt Grund zur Hoffnung; wohl aber auch, weil diese transnational von den Europäischen Grünen organisiert wird – das macht ein Bekenntnis zu Europa und einen Aufruf zur Partizipation umso authentischer und damit sicher auch für viele junge Menschen interessanter.

Lobbying für junge Menschen

Lobbying und die Europäische Union sind enger miteinander verknüpft, als vielen lieb ist. Doch gibt es auch Interessen, die durchaus mehr Lobbying vertragen könnten – wie beispielsweise die der Jugendlichen. In dem Workshop „Lobbying for Youth in Europe“ vermittelte Falko Mohrs, ehem. Vorstand des Europäischen Jugendforums, Grundlagen erfolgreichen Lobbyings. Für erfolgreiches Lobbying müsse man vor allem beide beteiligten Pole gut kennen und verstehen – sowohl die Gruppe der Jugendlichen, deren Interessen man vertreten will, als auch die europäischen Institutionen und Gesetzgebungsprozesse, in denen man Gehör finden möchte. Ein positives Beispiel für erfolgreiches Lobbying ist das Europäische Jugendforum, über andere Beispiele aus ihrem beruflichen Alltag tauschten sich die Workshopteilnehmer aus.

Nach der intensiven Arbeit in den Workshops war es Zeit für einen informellen und unterhaltsamen Ausklang des Tages. Im großen Saal fand das interaktive Theaterstück zur Euro-Krise, „Die Euro-WG – wo Geld ist, ist es schön“, von Thomas Nufer und Dirk  Schubert statt. In der „Euro-WG“ leben ein Deutscher, eine Griechin, ein Italiener und eine Norwegerin und an ihren persönlichen Konflikten zeigen sich exemplarisch die Probleme der Europäischen Union in der aktuellen Krise – wie beispielsweise die soziale Ungleichheit, aber auch mangelnde Solidarität untereinander. Das Stück wird normalerweise an Schulen aufgeführt, um Jugendliche auf diese unkonventionelle Art für europäische Themen zu sensibilisieren.

Der zweite Veranstaltungstag begann mit dem bewährten „Projektmarkt“, der zahlreichen Jugendprojekten die Möglichkeit gibt, sich in kurzen Präsentationen den Teilnehmern vorzustellen. Neben den wichtigsten Förderprogrammen wie „Jugend in Aktion“ oder „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ stellten sich auch zahlreiche junge Bildungsprojekte den Teilnehmern vor. Die Chance nutzte zum Beispiel das Projekt  „PlanetEUrope: E-partizipation und Europawahl 2014 – bildungsferne Jugendliche im Blick“. Das Projekt möchte das Interesse von bildungsfernen Jugendlichen für die Europawahl steigern und arbeitet dabei sowohl mit einer Onlineplattform, als auch mit Informationsveranstaltungen und wissenschaftlicher  Evaluation. Es wird im Rahmen der Kampagne „Handeln. Mitmachen. Bewegen.“ vom Europäischen Parlament gefördert.

Ein ungewöhnliches Veranstaltungskonzept präsentierten Linn Selle und Lutz Gude von den Jungen Europäischen Föderalisten e.V. (JEF) – eine sogenannte „Unconference“. Sie organisieren jährlich die „Europawerkstatt“ nach diesem Prinzip, bei dem sich Jugendliche und politische Entscheidungsträger auf Augenhöhe begegnen. Erst vor Ort wird entschieden, zu welchen Themen die Jugendlichen inhaltlich arbeiten wollen, so dass sich die anwesenden Politiker auf spontane und gleichberechtigte Zusammenarbeit einlassen müssen.

Die wohl unkonventionellste Präsentation lieferte Jon Worth, EU Blogger und Online Campaigner, der das Thema „Do it yourself“ wortwörtlich nahm und erklärte, wie man online eigene Kampagnen startet. Einmischen, Vernetzen, Mitmachen – das Web 2.0 biete gerade den Initiativen für junge Leute großartige Möglichkeiten, mit kleinem Budget einen viralen Effekt zu erzielen. Europa vermittele man heute nicht mehr mit Büchern und Broschüren, so Worth. Das gezielte Einsetzen von Social Media mache Europa erlebbar: meist national geführte Debatten lassen sich so schneller verknüpfen. Passend: Jon Worths Präsentation lief natürlich auch im Live-Stream.

Generationenkonflikt in der Politik

In der abschließenden Podiumsdiskussion trafen hochrangige Vertreterinnen der Jugendverbände der Parteien aufeinander.  Laura Stoll, Bundesvorstand der Jungen Union, Johanna Uekermann, Bundesvorsitzende der Jusos, Theresa Kalmer, Bundessprecherin der Grünen Jugend und Beret Roots, Kandidatin zur Europawahl der Jungen Liberalen, debattierten unter Leitung der Moderatorin Greta Taubert über Partizipationsmöglichkeiten für junge Leute in Europa. Das rein weiblich besetzte Podium offenbarte erstaunlich viele Gemeinsamkeiten. Übereinstimmend berichteten sie von den Herausforderungen des nicht immer einfachen politischen Alltags in den Jugendverbänden. Man müsse lernen, Mehrheiten zu bilden, da waren sich alle vier einig, sonst finde man in der Mutterpartei kaum Gehör. Und man brauche ein dickes Fell wenn man scheitere, denn auch das gehöre zum politischen Alltag. Uekermann und Stoll verwiesen zum Beispiel auf den Koalitionsvertrag, in dem ihrer Meinung nach jugendspezifische Themen wie Rente mit 63, eine Reform des BaföG-Gesetzes oder eine kostenlose Ausbildung völlig fehlen.

Einig waren sich die vier jungen Politikerinnen auch in Bezug auf europäische Politik – sie alle seien völlig selbstverständlich in Europa aufgewachsen, es sei ihnen fremd, dass viele nach wie vor den Sinn der Europäischen Union anzweifelten. Europäische Politik finde auch vor der eigenen Haustür statt, nicht nur weit weg in Brüssel, das müsse man jungen Menschen deutlich machen. Trotz der übereinstimmend proeuropäischen Grundhaltung aller Jugendverbände der Parteien, müsse man aber auch klar voneinander abgegrenzte politische Positionen in der Europapolitik vertreten, forderte Uekermann, nur  so könne man das Interesse für europäische Themen und Debatten steigern.

Auf dem Podium selbst wurde es kaum kontrovers, nur in der Frage zur politischen Zukunft der EU zeigten die Politikerinnen Differenzen: Während Uekermann für einen europäischen Konvent und Kalmer gar für einen europäischen Bundesstaat plädierte, sprach sich Stoll gegen eine Kompetenzerweiterung der EU aus.

Am Ende der Veranstaltung gaben die Teilnehmer auf bunten Karten Feedback. Die Rückmeldung bewies – das Konzept des Fachforums mit den vielfältigen Formaten und der großen inhaltlichen Bandbreite hat sich bewährt. Es wird daher auch im nächsten Jahr weitgehend umgesetzt werden – dann allerdings erstmals in einem tatsächlich europäischen Umfeld und in Zusammenarbeit mit Organisationen aus anderen Ländern. Man darf gespannt sein!