Aktuelles > Standpunkt der DSGV-Chefvolkswirte: Geldpolitik muss glaubwürdig bleiben – Zinssenkungen hilfreich, aber nicht maßgeblich

Artikel Details:

  • 17.01.2012 - 10:38 GMT
  • DSGV
Wirtschaft & Finanzen

Standpunkt der DSGV-Chefvolkswirte: Geldpolitik muss glaubwürdig bleiben – Zinssenkungen hilfreich, aber nicht maßgeblich

Die Europäische Zentralbank hat nach dem Amtsantritt von Mario Draghi zwei Mal den EZB-Leitzins gesenkt. Mit diesen Leitzinssenkungen hat die Europäische Zentralbank auf die deutlich eingeschränkten Konjunkturperspektiven des Eurogebietes reagiert. Dabei waren aus rein geldpolitischer Sicht diese niedrigeren EZB-Zinsen nicht unbedingt nötig gewesen. Und auch für die nächsten Wochen und Monate bleibt fraglich, ob weitere Zinssenkungen maßgeblich dazu beitragen können, die angespannte Lage an den Geld- und Kapitalmärkten zu beruhigen.

Für die Krisenländer im Euroraum und für die vom Druck auf die Staatsanleihen betroffenen Kreditinstitute sind die anderen von der Zentralbank getroffenen Maßnahmen bedeutend. Diese Maßnahmen haben insgesamt die Liquiditätsversorgung deutlich verbessert und entscheidend dazu beigetragen, dass die Euro-Krisen und Diskussionen über den Jahreswechsel 2011/2012 vergleichsweise ruhig verliefen. Dennoch bleibt die Skepsis der Marktteilnehmer groß und zwischenzeitlich hat sich auch als Ergebnis aller dieser Entwicklungen und Politikmaßnahmen der Außenwert des Euro abgeschwächt.
Internationale Zusammenarbeit stärkt Handlungsmöglichkeiten
Die geldpolitischen Maßnahmen wurden am 30. November 2011 gestartet. Im Rahmen der bereits existierenden Swapvereinbarungen zur Bereitstellung von USD-Liquidität wurde in einer konzertierten Aktion der Zentralbanken aus Kanada, England, Japan, Schweiz, den USA und des Euroraums der Preis für die USD-Refinanzierung um 50 Basispunkte vermindert. Darüber hinaus haben die Zentralbanken sich gegenseitig Liquiditätslinien in ihren jeweiligen Währungen eingeräumt, um sich jederzeit bilateral unterstützen zu können. Die EZB hat zudem entschieden, regulär US-Dollar-Liquidität für eine Woche und drei Monate anzubieten. Insgesamt sind diese neuen Refinanzierungsmöglichkeiten über den US-Dollar gut aufgenommen worden. Sie zeigen deutlich an, dass die internationale Währungsgemeinschaft zusammenarbeitet, um die aktuellen Refinanzierungsschwierigkeiten am Interbankenmarkt überwinden zu wollen.
Geldpolitische Schleusen weit geöffnet…
Die anderen vom EZB-Rat am 8. Dezember 2011 beschlossenen zusätzlichen geldpolitischen Maßnahmen haben zudem deutlich dazu beigetragen, Refinanzierungsengpässe im Bankensystem bislang zu vermeiden. Insbesondere das erste der beiden Refinanzierungsgeschäfte mit einer Laufzeit von jeweils 36 Monaten hat mit annähernd 500 Mrd. Euro ein Volumen erreicht, das nicht erwartet wurde. Allerdings hat diese Liquidität bislang den Interbankenmarkt nicht beleben können. Nach wie vor legen die Banken ihr Geld über Nacht im Eurosystem mit einem Volumen von über 450 Mrd. Euro an und auch die Staatsanleihenkäufe durch die EZB steigen – wenn auch im Vergleich zum November 2011 in einem verminderten Maße – ständig an. Zwischenzeitlich ist hier ein Gesamtvolumen von 213,1 Mrd. Euro (Stand: 06.01.2012) erreicht.
Dennoch ist festzuhalten, dass auch auf Grundlage dieser verbesserten Liquidität zeitweilig Refinanzierungen z.B. von italienischen Sechsmonatspapieren mit Zinsen von unter 4 Prozent sowie auch eine gelungene Refinanzierung des EFSF erfolgen konnte. Dass dennoch die Refinanzierungen am Bankenmarkt insgesamt kritisch bleiben, zeigt aber die jüngste Refinanzierung der deutschen Staatsschuld, bei der sich der Bund erstmalig mit einer negativen Verzinsung von 0,0122% Geld für sechs Monate besorgen konnte. Das zeigt klar an, dass Anleger bewusst auf Sicherheit setzen und auf Rendite verzichten.
…aber Problem: Qualität der Refinanzierung steht auf dem Spiel

Diese Verhaltensweise der Marktteilnehmer ist aber auch in Verbindung mit einer weiteren geldpolitischen Maßnahme des Eurosystems vom 8. Dezember 2011 zu sehen. Mit dem Beschluss, vorübergehend Kreditforderungen als Sicherheiten zu akzeptieren, die auf nationaler Ebene als notenbankfähig angesehen werden, läuft die EZB Gefahr, alle gemeinsamen Sicherheitenstandards, die in den letzten Jahren mühsam entwickelt wurden, über Bord zu werfen. Wird dabei zusätzlich zur Kenntnis genommen, dass gerade die Peripheriestaaten in der letzten Zeit zunehmend Kreditforderungen eingereicht hatten (deren Anteil ist zwischenzeitlich auf über 20 Prozent der Sicherheiten gestiegen), so muss davor gewarnt werden, dass über die nationalen Zentralbanken insbesondere der Peripheriestaaten des Eurosystems weitere „bad assets“ auf die Zentralbankbilanz genommen werden.
Diese Befürchtung wird auch dadurch bestärkt, dass durch die vorübergehende Ausweitung des Sicherheitenverzeichnisses nun ausgerechnet Asset-Backed Securities, deren Refinanzierung nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 zu Recht erschwert wurde, deutlich erleichtert als Sicherheit – je nach nationalen Kriterien – hinterlegt werden können. Zwar appelliert die EZB an die Anwendung einheitlicher Kriterien. Gerade aber in den Peripheriestaaten besteht eher ein erheblicher wirtschaftlicher Anreiz für die Banken, nun auf Sicherheiten zurückzugreifen, die zuvor nicht für die Refinanzierung im Eurosystem tauglich waren. Dieser Anreiz wird auch dadurch nicht eingeschränkt, dass der EZB Mindestreservesatz von 2 auf 1 Prozent halbiert wurde. Denn im aktuellen Marktumfeld mit Überschussliquidität sind von dieser Maßnahme keine nennenswerten Änderungen beim Geldmarkthandel zu erwarten.
Insgesamt hat die EZB damit sicherlich die „Tränke“ reichlich mit Liquidität gefüllt, aber ob die Marktteilnehmer die Liquidität gerade auch in den Peripheriestaaten nutzen, um die Wirtschaft anzukurbeln, bleibt zweifelhaft. Zu erwarten ist eher, dass für die frische EZB-Liquidität „verbrauchte bzw. faule“ Sicherheiten getauscht werden. Das birgt dann auch mit Blick auf die zunehmenden Ungleichgewichte in der Währungsunion bezüglich der TARGET-Salden Gefahren für die dauerhafte Stabilität. Daher bleibt wichtig, dass diese Maßnahmen nur temporär sind. Sie müssen bald wieder zurückgeführt werden. Es bleibt dabei, dass die Lösung der Staatsschuldenkrise in erster Linie durch die hoch verschuldeten Länder selbst erreicht werden kann. Während Griechenland einen Sonderfall darstellt, der besonderer Unterstützung seitens der Partnerländer bedarf, müssen insbesondere die großen Länder ihren eingeschlagenen Kurs von langfristiger Konsolidierung und Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit in nachvollziehbaren Etappen verfolgen.

Gipfel müssen glaubwürdig Fiskalunion beschließen

Zudem: Alle diese geldpolitischen Maßnahmen sind im Ergebnis auch ein Vertrauensvorschuss für die bevorstehenden EU-Gipfel Ende Januar und Anfang März 2012. Diese Gipfel müssen belastbare Lösungen für eine klare Ausrichtung auf finanzpolitische Stabilität erzielen, um den Handlungsdruck auf die EZB zu verringern. Darüber hinaus muss die Bankenaufsicht ihren Beitrag leisten und nicht mittels undurchsichtiger Stresstests weiter zur Verunsicherung beitragen. Nur mit verlässlichen und eindeutig auf Stabilität zielenden Rahmenbedingungen lässt sich auch das Vertrauen der Investoren in Staatsanleihen als Anlageklasse wiederherstellen. Italien steht hierbei im ersten Quartal angesichts seines hohen Refinanzierungsbedarfs ganz besonders im Fokus.