Tschernobyl ist längst nicht vorbei! Rede der „Frau Europas“ Irina Gruschewaja zum 35. Jahrestag des Super-GAU
Am 26. April 1986 explodierte der Atomreaktor von Tschernobyl in der sowjetischen Ukraine. Zum 35. Jahrestag der Atomkatastrophe erinnerte die „Frau Europas“ Prof. Dr. Irina Gruschewaja in einer Rede an die katastrophalen Folgen des GAU für das benachbarte Belarus, die andauernde Bagatellisierung der atomaren Verseuchung durch das Regime und den Keim der Hoffnung, den zivilgesellschaftliche Initiativen für Demokratie und Menschenrechte in Belarus säen.
Als Reaktion auf den Atom-Unfall gründete Gruschewaja die erste Bürgerinitiative des Landes, um Kindern aus verseuchten Gebieten Ferienreisen in europäische Partnerländer zu ermöglichen. Für dieses Engagement wurde sie 2011 mit dem Preis Frauen Europas ausgezeichnet. Heute seien die insgesamt 660 000 „Kinder von Tschernobyl“, die die gleichnamige Organisation seit 1989 nach Europa schickt, Trägerinnen und Träger demokratischer Erfahrungen, die für einen friedlichen Aufbruch des Landes stehen:
„Diese Kinder sind unser Erfolg! Unser Garten der Hoffnung! Wir haben ihnen Freude, Hoffnung und Zuversicht vermittelt, dass sie nicht allein bleiben und dass von ihnen selbst abhängt, wie ihre Zukunft gestaltet wird. Ihre Erkenntnisse über die demokratischen Werte, Rechtstaatlichkeit, freie Wahlen, offene Gesellschaft, freies Bürgerengagement, Solidarität und soziale Verantwortung konnten sie oft in den von uns aufgebauten Jugendzentren („Zukunftswerkstätten“ genannt), in den sozialen Projekten umsetzen. Was ihnen ihre Freunde im Ausland vorlebten, wurde zu ihrer Lebensschule.
Ausgerechnet diese sozialen Projekte wurden zu unserer Barrikade im Kampf gegen die immer härter werdende Diktatur in Belarus. Altenclubs, Diabetesschulen, Behindertenaktivitäten, Resozialisation der straffälligen minderjährigen Mädchen, Humanisierung des Strafvollzugssystems, Betreuung der sozial schwachen Familien mit Kindern, Hilfe für Familienwaisenhäuser, Kongresse und Sommerschulen, Frauenprojekte. Was hatte das mit dem Kampf gegen die Atomkraft zu tun? Würde mancher fragen. Aber ohne demokratisches eigenverantwortliches Tun ist es praktisch unmöglich, die Entscheidungen eines autoritären Staates zu beeinflussen.“
Gruschewajas Rede steht im Volltext zum Download zur Verfügung.
Über den Preis Frauen Europas
Mit dem „Preis Frauen Europas – Deutschland“ ehrt die EBD seit 1991 Frauen, die sich durch ihr mutiges, kreatives oder hartnäckiges ehrenamtliches Engagement in besonderer Weise für das Zusammenwachsen und die Festigung eines vereinten Europas einsetzen. Die symbolische Auszeichnung – die Preisträgerin erhält eine eigens für sie gefertigte Brosche und wird Teil eines aktiven Preisträgerinnen-Netzwerkes – soll bürgerschaftlich aktive Europäerinnen untereinander und mit den EBD-Mitgliedsorganisationen vernetzen und ehrenamtliche Strukturen in der Zivilgesellschaft stärken. Der Festakt zur Preisverleihung, den die EBD gemeinsam mit der Vertretung der Europäischen Kommission organisiert, findet am 17. Juni statt. Die Brosche stiftet die Carl Friedrich Geiger Stiftung.