Uneinigkeit bei Maßnahmen gegen steigende Energiepreise | EBD De-Briefing Europäischer Rat
Covid-19, Energiepreise, Migration, Handel und Außenbeziehungen standen im Fokus der Oktobersitzung des Europäischen Rates. Aufgrund der aktuellen Geschehnisse in Polen wurde auch eine Debatte über Rechtsstaatlichkeit in der EU geführt. Die Ergebnisse des EU-Gipfels stellten Axel Dittmann, stellvertretender Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt, und Dr. Kirsten Scholl, Leiterin der Abteilung für Europapolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), beim De-Briefing der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD) am 26. Oktober 2021 vor. Erstkommentare kamen anschließend von Dr. Jörg Wojahn, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, und EBD-Vizepräsident Manuel Sarrazin. Die Moderation der digitalen Veranstaltung mit über 75 Teilnehmenden übernahm EBD-Generalsekretär Bernd Hüttemann.
Ein zentrales Thema der Sitzung des Europäischen Rates waren die steigenden Energiepreise in Europa und ihre Auswirkungen auf Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen. Der Rat bekräftigte die Nützlichkeit der Toolbox, die vor wenigen Wochen von der Europäischen Kommission vorgelegt wurde. Diese enthält Sofortmaßnahmen, wie die vorübergehende, gezielte Senkung der Steuersätze für schutzbedürftige Haushalte, als auch mittelfristige Maßnahmen, wie den Auftrag an die europäischen Regulierungsstellen (ACER), die Vor- und Nachteile der derzeitigen Strommarktgestaltung zu untersuchen. Beim EBD De-Briefing wurde betont, dass die steigenden Energiepreise nicht kausal zu dem Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) oder dem Fit-for-55 Paket gesehen werden dürften. Im Gegenteil, die steigenden Preise seien eine Aufforderung zum Ausbau erneuerbarer Energien, von Energiespeicherkapazitäten und zum zügigen Voranschreiten des Fit-for-55 Pakets. Diese Ansicht werde von einem großen Teil der Mitgliedstaaten geteilt. Von Eingriffen ins Marktgeschehen werde hingegen abgeraten. Die außerordentliche Tagung der EU-Energieministerinnen und -minister am 26. Oktober wird das Thema weiter behandeln.
Bezüglich des Themas Rechtsstaatlichkeit in der EU wurde deutlich, dass die Europäische Kommission als Hüterin der Verträge den Rückhalt der allermeisten Staats- und Regierungsspitzen hat. Im De-Briefing wurde die politische Dimension des Konfliktes betont, wodurch dieser nicht rein juristisch zu lösen sei. Um den Konflikt zu lösen, brauche es auch Dialog.
Ebenfalls auf der Agenda des Europäischen Rates stand die Covid-19 Pandemie. Die EU habe erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung der Pandemie gemacht, dennoch gebe es erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Die durchschnittliche Impfquote liegt bei 65 Prozent. Um Impfskepsis und Desinformation weiter einzudämmen, müssten die Anstrengungen der EU fortgesetzt werden. Diskutiert wurden zudem die Impfstoffweitergabe an EU-Drittstaaten: Eine Milliarde Impfdosen hat die EU bereits exportiert.
Zum Thema Migration gab es längere Aussprachen während des Gipfels. In ihren Schlussfolgerungen rufen die Staats- und Regierungsspitzen die Kommission auf, Finanzmittel für Maßnahmen auf allen Migrationsrouten zu mobilisieren und mindestens zehn Prozent der Haushaltsmittel des Instruments für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI) dafür zu nutzen. Mit Bezug auf Belarus wurde die Instrumentalisierung von Migration für politische Zwecke deutlich verurteilt. Auf dem De-Briefing wurde bekräftigt, dass man die Grenzstaaten unterstützen und ein weiteres Vorgehen gegen das belarussische Regime prüfen werde.
Im Bereich Handel herrsche eine gewisse Einigkeit unter den Mitgliedstaaten über die Bedeutung von multilateralem Handel als Pfeiler der europäischen Souveränität. Mögliche Reibungspunkte, die während des De-Briefings erwähnt wurden, waren die bilateralen Verhandlungen und Ratifizierungsprozesse von multilateralen Abkommen.
Ein letzter Punkt auf der Agenda des EUCO-Treffens war die europäische Digitalpolitik. Hierbei wurde die Notwendigkeit einer digitalen Souveränität der EU betont. Allgemeine Ausrichtungen, also die Ratspositionen, zum Digital Markets Act und Digital Services Act, sollen von den zuständigen Ministerinnen und Ministern in der Formation Wettbewerbsfähigkeit im November angenommen werden, sodass die Trilogverhandlungen mit dem Europaparlament und der Kommission anschließend beginnen können. Für den Digital Chips Act wartet man hingegen noch auf einen Kommissionsvorschlag. Thematisiert wurde auch der European Cyber Act, für welchen man ein kohärentes europäisches Vorgehen brauche.
In seinem Erstkommentar verwies EBD-Vizepräsident Sarrazin auf die Migrationsentwicklung an der östlichen Grenze Polens. Es handle sich hierbei um „eine Entwicklung die noch am Anfang ist […] und […] europapolitisch gefährlich werden kann“. Sarrazin betonte vor allem die Dringlichkeit der Wahrung von Humanität und Rechtsstaatlichkeit an den östlichen Grenzen der EU. Hierfür sei ein geeintes, europäisches Vorgehen wichtig. Mit Bezug auf Rechtsstaatlichkeit in Polen unterstrich Sarrazin die Unterschiede zwischen dem Ultra-Vires-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Mai 2020 und dem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts. Europäische Institutionen müssten in ihrem Vorgehen für die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit in der EU unterstützt und bilaterale Gespräche vermieden werden.