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Justiz & Inneres

Wider Europas Abschottung

Statement der „Frau Europas“ Jasmina Prpić zum Jahrestag der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa

Der 3. Oktober ist ein besonderer Tag für dieses Land: Der Tag der Deutschen Einheit. Für mich ist es der Tag, an dem mein neues Leben vor 22 Jahre begann, als ich als Kriegsflüchtling zusammen mit meinem Mann und unseren damals 10- und 12-jährigen Töchtern nach der Flucht aus meinem alten Heimatstaat Bosnien-Herzegowina nach Deutschland kam. Später wurde Deutschland unsere neue Heimat.

Seit 20 Jahren, an jedem 3. Oktober, stoßen mein Mann und ich zusammen mit unseren Töchtern – heute zwei erwachsene junge Frauen – auf unser neues Leben an. Seit dem vergangenen Jahr nicht mehr.

Am 3. Oktober letzten Jahres geschah das Grauen im Mittelmeer – vor Lampedusa kamen Hunderte von Menschen, darunter viel Frauen mit Kinder, bei ihrem Versuch, sich in Europa eine Zukunft und ein menschenwürdiges Leben aufzubauen, ums Leben. An besagtem Tag war ich wie gelähmt. Diese menschliche Tragödie erinnerte mich und erinnert mich immer wieder am 3. Oktober an unsere Flucht vor 22 Jahren.

Ich denke stets daran, dass ich heute ein normales Leben führen darf und dass meinen Kindern hier in Deutschland nicht nur eine Zukunft ermöglicht wurde, sondern der Zufluchtsstaat auch zwei junge, inzwischen eingebürgerte hochqualifizierte Fachfrauen gewonnen hat. Dabei denke ich auch, dass uns dies nur gelungen ist, weil wir einen relativ „sicheren“ Weg aus den Grauen des Bosnienkrieges gefunden haben. Was wäre gewesen, hätten wir so einen gefährlichen Weg über das Mittelmeer wagen müssen? Ich würde am liebsten schreien.

Heute möchte ich meine Stimme gegen die unmenschliche Abschottung Europas erheben. Die positiven Erfahrungen von solchen Flüchtlingen, die ihre Chance in der Lebensgefahr nicht nur zum eigenen Wohl, sondern auch zum Wohl der Zivilgesellschaft des Zufluchtsstaates genutzt haben, müssen sichtbar werden. Es ist höchste Zeit, das Vorurteil auszuräumen, dass Flüchtlinge den Zufluchtsstaat nur ausnutzen wollen. Unter diesen Umständen wundert es mich nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas immer mehr Angst vor Menschen in der Not haben und eine solche Abschottungspolitik unterstützen. Was ist aus unserer Menschlichkeit geworden?


Über den Preis Frauen Europas – Deutschland:

Mit dem Projekt ehrt die EBD seit 1991 Frauen, die sich durch ihr mutiges, kreatives oder hartnäckiges ehrenamtliches Engagement in besonderer Weise für das Zusammenwachsen und die Festigung eines vereinten Europas einsetzen. Die symbolische Auszeichnung soll bürgerschaftlich aktive Europäerinnen untereinander und mit den EBD-Mitgliedsorganisationen vernetzen und ehrenamtliche Strukturen in der Zivilgesellschaft stärken.