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Nachgefragt bei… I.E. Marika Linntam

Mit dem Format „Nachgefragt bei“ kommen regelmäßig europapolitische Stimmen in Form eines Kurzinterviews zu Wort. Heute heißt es mit Blick auf 20 Jahre EU-Erweiterung 2024: Nachgefragt bei … I.E. Marika Linntam, Botschafterin der Republik Estland in der Bundesrepublik Deutschland.

©Foto: Botschaft der Republik Estland

Sehr geehrte Frau Botschafterin Linntam, am 1. Mai 2024 feiern 10 Staaten der Europäischen Union, darunter Estland, ihr 20-jähriges Beitrittsjubiläum zur EU. Wie blicken Sie auf die vergangenen zwei Jahrzehnte seit dem Beitritt?

Der EU-Beitritt ist für Estland aus geopolitischen, wirtschaftlichen und auch wert-basierten Gründen wichtig gewesen. Seit der Wiederherstellung unserer Unabhängigkeit im Jahr 1991 war es unser Ziel, nie wieder allein wie vor dem Zweiten Weltkrieg zu sein. Wir haben uns Mühe gegeben, um der Europäischen Union und der NATO beitreten zu können. Die Erweiterung in 2004 hat uns in einer Union vereinigt mit den anderen europäischen Staaten, mit denen wir gemeinsame Werte – Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte – teilten und teilen. Die 20 Jahre in der EU haben uns auch den wirtschaftlichen Erfolg gebracht.

Angesichts der aktuellen sicherheits- und geopolitischen Herausforderungen in Europa, wie sollte die EU-Erweiterungspolitik und die Reformagenda der EU strategisch miteinander verknüpft werden?

Eine weitere EU-Erweiterung hat Potenzial sowohl zu der Stärkung der EU als auch der Kandidatenländer wie z.B. der Ukraine, aber auch der Westbalkanstaaten beizutragen. Als die EU den Nobel-Friedenspreis 2012 erhielt, war es auch eine Folge der erfolgreichen Erweiterungen, die den Raum der Freiheit und des Wohlstands in Europa vergrößerten. Die gleichen Ziele gibt es auch heute. Ein Blick auf den Erfolg des estnischen EU-Beitritts vor 20 Jahren verdeutlicht die transformative Kraft von Erweiterung für die Kandidatenländer. Meines Erachtens ist eine erfolgreiche Erweiterung im Rahmen des bestehenden EU-Vertrages möglich. Trotzdem ist es erforderlich, gemeinsam zu diskutieren, welche möglichen Einstellungen in diesem Rahmen gebraucht werden. Die EU bleibt sowieso ein lebendiger Organismus, und ihre Anpassungsfähigkeit ist ein Zeichen ihrer Widerstandsfähigkeit.

Wie kann Estland die Erfahrungen aus dem erfolgreichen EU-Beitritt in die Debatte um die EU-Reform und Erweiterung einbringen, um ein effizientes Beitrittsverfahren der aktuellen EU-Beitrittskandidaten zu ermöglichen?

Estland hat positive Erfahrungen von dem eigenen Reformprozess, was in Rahmen des EU-Beitritts grundsätzlich wichtig gewesen ist. Wir haben viele Kontakte und Projekte der Zusammenarbeit mit den aktuellen Bewerberländern. Direkte Kontakte zwischen den Experten können einen Beitrag zu der Bereitschaft in den konkreten Bereichen sowie der Fähigkeit der Administration leisten, und damit die Prozesse beschleunigen.

Welche Herausforderungen und Chancen für die Baltischen Staaten und die EU insgesamt sehen Sie im Superwahljahr 2024, in dem auch die Europawahlen anstehen?

Wir stehen zusammen vor vielen Herausforderungen, vor allem angesichts der Sicherheitslage in Europa wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Wir müssen uns um unsere gemeinsame Verteidigung bemühen, und die Investitionen in die Verteidigungsindustrie erhöhen. Gleichzeitig ist es notwendig, die grüne und digitale Transformation voranzutreiben, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. Es ist von Bedeutung, diese Themen auch in der neuen Strategischen Agenda 2024-2029 anzusprechen.

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