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Partizipative Demokratie: Organisierte Zivilgesellschaft auf allen Ebenen stärken

Die europäischen Bürgerinnen und Bürger können ihre partizipatorischen Rechte nur dann voll wahrnehmen, wenn sie durch eine grenzüberschreitend organisierte Zivilgesellschaft vertreten werden. Der Aufbau einer starken europäischen Zivilgesellschaft, die ihre Interessen unabhängig artikulieren kann, sollte durch die nationale Politik unterstützt werden. Hierzu zählt auch die Förderung des Engagements der Bürgerinnen und Bürger. Dabei spielen die im Titel II des Lissabon-Vertrags dargelegten „Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze“ eine wichtige Rolle.

Die EBD fordert die Bundesregierung dazu auf, für Deutschland eine Rahmenvereinbarung für den Dialog zwischen organisierter Zivilgesellschaft, Bundesregierung, Ländern und Kommunen umzusetzen. In diesem Zusammenhang setzt sich die EBD dafür ein, dass die Bundesregierung über konkrete Projekte europäischer Integration im Rahmen der bestehenden Verträge in einen intensiven Austausch mit der organisierten Zivilgesellschaft tritt.

Darüber hinaus erscheint der EBD der „Code of Good Practice for Civil Participation in the Decision-Making Process“ (Europarat 2009) ein erfolgversprechendes Instrument zur Etablierung eines Verhaltenskodex für Bürgerbeteiligung, auch für Organisationen der Zivilgesellschaft. Es ist von besonderer Relevanz, dass die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement für Europa für gemeinnützige Organisationen sowohl hinsichtlich institutioneller wie auch projektbezogener Förderung weiter verbessert werden und die Bundesregierung in einen offenen Kommunikationsprozess mit der organisierten Zivilgesellschaft eintritt über die Zukunft des Zusammenlebens in Europa.

Die EBD strebt eine Stärkung der Zivilgesellschaft im europäischen Politikprozess in enger Zusammenarbeit mit den deutschen Vertreterinnen und Vertretern im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Ausschuss der Regionen an.

Neben der wichtigen Rolle des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in diesen Fragen begrüßt die EBD daher die Gründung der neuen Plattform „Civil Society Europe“, in der sich zahlreiche europäische zivilgesellschaftliche Dachverbände und Netzwerke zusammengeschlossen haben. Das Engagement der Europäischen Bewegung International (EMI) in diesem Verbund wird ausdrücklich unterstützt. Gemeinsam mit dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) setzt sich die EBD für die Vermittlung der Interessen der deutschen organisierten Zivilgesellschaft zu „Civil Society Europe“ ein.

Die Stärkung partizipativer Demokratie auf europäischer Ebene und die Umsetzung von Artikel 11 EUV benötigen eine gemeinsame Stimme der europäischen Zivilgesellschaft.

Die organisierte Zivilgesellschaft muss im sich gegenseitig beeinflussenden Mehrebenensystem EU auch auf nationaler Ebene besser eingebunden werden. Insbesondere repräsentative Organisationen aller Sektoren sind wichtige Lobbyisten und Impulsgeber der Politik, die Informationen, Expertise und Legitimation liefern. Gleichzeitig sollte die Instrumentalisierung zivilgesellschaftlicher Organisationen durch den Staat vermieden werden. Ziel muss der gleichberechtigte Dialog aller Partner sein, bei gleichzeitiger Wahrung des Monopols staatlicher Entscheidung.

Die EBD unterstützt den vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss mitinitiierten und von der Europäischen Bewegung International mit ausgearbeiteten „Fahrplan für die Umsetzung von Artikel 11 des Vertrags über die Europäische Union (EUV)“ vom April 2015.

Das Gesamtdokument finden Sie hier zum Download: Politische Forderungen 2015/16

Stand der Dinge: Konsultationsprozesse in Deutschland

Vielfalt an zivilgesellschaftlichen Akteuren und mittelstarke-starke korporatistische Strukturen

English version here.

Die Lobbylandschaft in Deutschland bietet eine Vielfalt an zivilgesellschaftlichen Akteuren, die von den öffentlichen Institutionen regelmäßig in Konsultationen eingebunden werden. In der wissenschaftlichen Literatur werden Deutschland mittelstarke bis starke korporatistische Züge zugesprochen, obwohl einheitliche Regelungen für zivilgesellschaftliche Konsultationsprozesse fehlen. (Chabanet, Trechsel 2011: 69ff.)

Trotzdem findet sich in Deutschland eine Vielzahl an formellen und informellen Prozessen, Institutionen, Initiativen und Netzwerken, die darauf abzielen politische Akteure und die Zivilgesellschaft zusammenzubringen.

Auf Bundesebene konzentriert sich die Lobbyarbeit der Organisationen auf die Exekutive, d.h. auf  Regierung, Ministerien und öffentliche Verwaltung, während die Bundesministerien ihrerseits bestimmte Interessengruppen für Konsultationen und Zusammenarbeit auswählen. Die Konsultationsprozesse sind in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien geregelt. Da die Arbeit der Ministerien dem Ressortprinzip folgt, verfügen die Ministerien in der Ausgestaltung des zivilgesellschaftlichen Dialogs über einen großen Spielraum. (Chabanet, Trechsel 2011: 70f.)

Obwohl die generelle zivilgesellschaftliche Partizipation in Deutschland hoch ist, existieren nur wenige verbindliche Regelungen und die Umsetzung variiert innerhalb der staatlichen Institutionen. Im Hinblick auf EU-Angelegenheiten sind öffentliche Konsultationen kaum institutionalisiert und haben einen Ad-hoc Charakter.

Zwei spezielle Formen von Konsultationsprozessen in Deutschland sind Dialogforen und Netzwerke. Dialogforen können verschiedene Formen annehmen, wie z.B. Konferenzen, Diskussionsrunden oder Internetkonsultationen. Sie werden von den Ministerien ins Leben gerufen, um sich mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen auszutauschen und in der Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen von ihrem Fachwissen zu profitieren. In den Netzwerken wird den Organisationen die Möglichkeit gegeben, sich untereinander über ihre Ansichten und Ziele auszutauschen und mit politischen Institutionen in Kontakt zu treten. Auf Bundesebene ist das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) ein bedeutendes Netzwerk für den zivilgesellschaftlichen Austausch.

Zivilgesellschaftliche Beteiligung in EU-Angelegenheiten wird geschätzt; jedoch wird regelmäßig kritisiert, dass eine Einbeziehung in konkrete politische Entscheidungen fehlt. Die Europäische Jugendinitiative „Strukturierter Dialog ist ein Beispiel für die Einbeziehung der nationalen Zivilgesellschaft in EU-Angelegenheiten. Der Strukturierte Dialog wird durch nationale Arbeitsgruppen umgesetzt. In Deutschland arbeiten der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) und das Bundesministerium für Familien Senioren Frauen und Jugend eng zusammen.

Die Rolle der Europäischen Bewegung e.V.

Das größte Netzwerk für europäische Interessenvertretung in Deutschland ist die Europäische Bewegung Deutschland (EBD). Die 243 Mitgliedsorganisationen umfassen Gewerkschaften, Wirtschafts- und Non-Profit Verbände, politische Parteien, Unternehmen und Stiftungen. Das Netzwerk hat es sich zum Ziel gesetzt die deutsche europapolitische Koordinierung und die Europakommunikation zu verbessern. Dafür wird eng mit den politischen Institutionen zusammengearbeitet. Die Europäische Bewegung organisiert regelmäßige Veranstaltungen, die nationale und EU-Politiker und Experten mit den Mitgliedsorganisationen zusammenbringen, um den Ideen- und Wissensaustausch zu fördern. Die EBD De-Briefings, eine Rückschau auf Ratstreffen, und die EBD Briefings als Vorausschau auf die kommende Ratspräsidentschaft, sind nachhaltige Instrumente zur Etablierung eines regelmäßigen Interessenaustausches. An den Formaten nehmen regelmäßig 70 bis 100 Interessenten teil. Weitere Veranstaltungsformate der EBD sind EP-Berichterstatter im Dialog mit Berichterstattern aus dem Europäischen Parlament und Grünbuchanalysen zur Förderung der Einbringung von Interessen im prälegislativen Prozess der Europäischen Kommission. Dafür werden auch die zuständigen Ministerien und Institutionen eingebunden.

Die EBD deckt als größtes Netzwerk in Deutschland die ganze Breite der organisierten Zivilgesellschaft ab. Ihre politischen Forderungen konzentrieren sich auf die Stärkung der europäischen Integration auf allen politischen Ebenen. Dabei achtet die EBD die unterschiedlichen politischen Konzepte ihrer Mitglieder und stützt sich auf den europäischen Rechtsbestand sowie den europapolitischen Konsens in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Eine Übersicht dazu finden Sie hier.

In diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist die Forderung nach Partizipativer Demokratie und einer aktiven Zivilgesellschaft auf allen Ebenen. Bürger und repräsentative Verbände sollen aktiv in EU-Entscheidungsprozesse eingebunden werden, um die Legitimationslücke zwischen Bürger und EU zu schließen und das demokratische Regieren in der EU zu fördern. Der Aufbau einer starken europäischen Zivilgesellschaft, die ihre Interessen artikulieren kann und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger sollte durch die nationale Politik unterstützt werden. Dem Art. 11 EUV folgend soll die Interessenvertretung auf allen Ebenen gestärkt und ein  offener, transparenter und regelmäßiger Dialog mit öffentliche Debatten zur Regel werden.

Um nationale Politik und europäische Integration besser zu verbinden haben die EBD und das BBE eine wechselseitige Mitgliedschaft vereinbart. Hauptziel ist die Verbesserung von allgemeinen gesetzlichen, organisatorischen und institutionellen Bedingungen für bürgerliches und zivilgesellschaftliches Engagement im Mehrebenensystem der EU. Dabei übernahm die EBD den „Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess“ des BBE.

In enger Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt arbeitet die EBD an einer Verbesserung der europapolitischen Koordination und zivilgesellschaftlichem Engagement. Anfang 2015 wurde eine gemeinsame Zielvereinbarung verabschiedet.

Erkenntnisse

Nicht nur der interne Föderalismus, sondern auch die fragmentierte politische Koordination erschwert eine offene und nachhaltige Struktur des zivilgesellschaftlichen Dialogs. Im Hinblick auf Art. 11 EUV betrifft dies nicht nur die europäische Politik, sondern auch nationale Konsultationsstandards. Darüber hinaus macht es der extensive Gebrauch des Trilogs in den Gesetztgebungsverfahren der EU schwer einen Ausgleich zwischen Effizienz und Transparenz zu finden, da die Anhörung von Interessen in den verkürzten Verfahren kaum stattfinden kann.

Referenzen
Chabanet, D./ Trechsel, A. H. (2011): EU MemberStates’ Consultation with Civil Society on European Policy Matters, Robert Schuman Centre for Advanced Studies, European University Institute. (Pdf)

Links und weitere Literatur